Musik & Musiker altern nicht
Ron Sexsmith grünt Gott persönlich, kriegt trotzdem kritische Papisten-Post und läßt sich ansonsten einen guten Mann sein - einen weiterhin ausnehmend guten Mann des Gitarrenpop.
Ronald Eldon Sexsmith, der Songschreiber von der traurigen Gestalt. Sein Debüt grand opera lane, vor 15 Jahren zuerst nur als Tape erhältlich, veröffentlichte der Kanadier unter dem Moniker Ron Sexsmith And The Uncool. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung der besonderen Art: Spätestens seit Whereabouts aus dem Jahr 1999 liebten ihn sowohl die Kritiker als auch die Kollegen Elvis Costello, Richard Thompson und Paul McCartney (der Sexsmith zu Lebzeiten von Linda McCartney einmal zu einem mehrstündigen vegetarischen Frühstück einlud), doch Ron selbst schien zu gewöhnlich, zu fügsam für den Erfolg.
Dabei hat Sexsmith den seltenen und unschätzbaren Vorteil der Alterslosigkeit: Auf dem Cover zu Ron Sexsmith (i9g6) sah er aus wie 16, war aber bereits 32. Nun hat er die 40 überschritten, doch es bleibt das alte Kind, das einem im Hotel gegenübersitzt, im Hintergrund der abgegriffene Gitarrenkoffer mit dem weißen Zettel drauf: „Sexsmith“. „Ich bin sehr stolz auf meine neue Platte, auch wenn ich denke, daß alle meine Alben fehlerhaft sind. Sie ist irgendwie ‚rootig‘ und die Songs sind schon ein bißchen düsterer als zuletzt. Vielleicht hätte sie tatsächlich etwas heller und poppiger geklungen, wenn Martin Terefe (u. a. Produzent von KT Tunstall und A-ha – Anm. d. Red.) sie wiederproduziert hätte, aber es war einfach an der Zeit, wieder mit Mitchell Froom (Randy Newman, Suzanne Vega, Elvis Costello u.a.- Anm. d. Red.) zusammenzuarbeiten. Als ich ein paar meiner frühen Platten mit Mitchell machte, konnte ich auch noch nicht so gut singen wie jetzt- Grund genug für einen weiteren Versuch!“
Alle Sympathien für Sexsmith außer acht gelassen, muß man allerdings sagen: Als Nachfolger des kompositorisch makellosen Meisterwerks Retriever erfüllt Time Being die in das Album investierte Hoffnungen nicht. Darauf angesprochen berichtet der Songwriter Ungewöhnliches: „Mir gefällt Retriever immer noch sehr. Es ist seltsam, weil ich diese Platte eigentlich gar nicht machen wollte. Ich war damals so müde, ich wollte einfach nur nach Hause und meine Ruhe haben. Aber Martin Terefe überredete mich, doch noch eine Woche bei ihm zu bleiben und das Album in dieser kurzen Zeiteinzuspielen. Tja, und plötzlich hatte ich neben dem üblichen Kritikerlob mit „Whatever It Takes“ meine allererste Top-Ten-Single in Kanada.Nichtmal „Gold In Them Hills“ in der Duett-Version mit Chris Martin hat so einen Sprung geschafft.“
Ansteigende Verkäufe entschädigten den einst eher bekümmerten Sensibilisten also für einige Unannehmlichkeiten. Ärger gab es aber auch: Als Dank für den Song „God Loves Everyone“ („There are no gates in heaven / Everyone gets in / Queer or straight / Souls of every faith“) auf Cobblestone Runway (2002) bekam Sexsmith Briefe: Papisten waren empört darüber, daß man als Schwuler jetzt auch in den Himmel kommt, kirchliche Amtsträger luden zum Gottesdienst oder boten anderweitige Hilfe an. Fernöstlicher klingt dagegen die Zeile „Some say if we get it right in this life / Then we never come back“ im neuen Song „The Grim Trucker“. Karma-Alarm? „ja, da steckt schon dieses Hinduismus-Denken drin“, konzediert der Mann, dessen Stimme auf wundersame Weise auch dann noch elegisch klingt, wenn er sich bemüht, nicht elegisch zu singen. „Ich bin eigentlich nicht religiös, nur neugierig. Ich würde es ’spirituell‘ nennen. Als Kind dachte ich, Gott würde in der Sonne sein. Weil es hieß, er würde alles sehen, was man tut. Ich hatte einen fortwährenden Dialog mit ihm. Auch später noch. Wenn die Sonne mir auf die Schulter schien, guckte ich nach oben und sagte ‚Hey, wie geht’s dir?'“
Der Gedanke, daß wir zu einer nächst höheren Ebene gelangen, wenn wir einmal im Leben alles auf die Reihe bekommen haben, „ergibt irgendwie Sinn, macht mir aber auch Angst“, sagt Sexsmith: „Was, wenn ich dieses harte Leben gehabt habe, aber anstatt zu sterben und zu einem besseren Ort zu gelangen plötzlich als Truthahn wiedergeboren werde?“ Das alte Kind Ron hat eine kaputte Ehe überstanden, nach der es vorübergehend in die Ein-Zimmer-Wohnung seines Steuerberaters einziehen mußte. Kurz darauf kam die Liebe dennoch wieder. So konnte auch sein Schicksal auf einem Thanksgiving-Teller im nächsten Dasein vorerst noch einmal abgewendet werden.
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