Obey Pop!
Der eine schreit sich die Wut auf die Welt auf der Bühne aus dem Leib, der andere plakatiert sie an die Wand: Iggy Pop und Shepard Fairey sind Gefolgsleute im Dienste des Aufständischen. Eine gute Grundlage also für ein Gespräch über Kunst und Kommerz, Propaganda auf ostdeutschen Autobahnen und darüber, wie viel Punk noch in einem steckt, wenn vom großen Schrei nach Freiheit lediglich ein Lufthauch im Cabrio übrig bleibt.
Sein Obama-Poster sollte Geschichte schreiben. Das Porträt des Präsidentschaftskandidaten, grafisch verfremdet und mit dem Wort HOPE unterlegt, erinnerte zwar eher an sozialistische Propaganda, versinnbildlichte aber wie kein anderes Bild de facto einen Moment der amerikanischen Befindlichkeit des Jahres 2008. Obama, wie wir wissen, gewann die Wahl.
Auch für Shepard Fairey sollten die nächsten zwei Jahre gravierende Veränderungen bringen. Vor seiner Obama-Kampagne war er allenfalls in Skateboard- und Street-Art-Kreisen bekannt, vor allem durch seine großflächigen „Obey Giant“-Grafiken, die er bereits konzipiert hatte, als er Ende der Achtziger die Rhode Island School of Design besuchte. Die Motive arbeiteten mit dem Image von André The Giant, einem ehemaligen Profi-Wrestler, und kryptischen Slogans wie „This Is Your God“ – und schmückten, selbstverständlich wild plakatiert und gesprayt, die Häuserwände diverser westlicher Metropolen.
Auch wenn das Obama-Poster sicher der Anlass war, dass Fairey seine erste Einzelausstellung bekam (2009 in Boston), so brachte es ihm auch unerwünschte Aufmerksamkeit ein. Anfang 2009 wurde er von der Nachrichtenagentur AP verklagt, weil er eines ihrer Fotos – aufgenommen von Mannie Garcia 2006 – als Vorlage für sein Obama-Motiv verwendet hatte. AP behauptete, dass es sich um eine schlichte Copyright-Verletzung handele, während Fairey argumentiert, dass das Foto eine austauschbare Vorlage gewesen sei, die erst durch seine Bearbeitung einen eigenen Wert bekommen habe. Sein Eingeständnis Ende 2009, dass er sich bemüht habe, die Spuren zum Foto-Original zu verwischen, verbesserte seine rechtliche Position allerdings nicht gerade.
Faireys Arbeiten, die Graffiti, Pop-Art, Gebrauchsgrafik und Marxismus verbinden, haben von Anfang an ein gemischtes Echo ausgelöst. Seine Bewunderer preisen die geradezu brachiale Effizienz seiner Arbeit wie auch seine konsequente Do-It-Yourself-Philosophie, die zur viralen Reproduzierbarkeit seiner Werke beigetragen habe. Kritiker werfen ihm entweder kommerziellen Ausverkauf vor (Fairey kreierte ein Mode-Label namens „Obey“ und arbeitete für Pepsi und andere Konzerne), oder seine leichtfertige Nutzung politisch besetzter Symbolik (er arbeitete mit visuellen Elementen der Black Panthers und der Zapatistas). Und wenn das noch nicht reichen sollte: Es gibt auch kritische Stimmen, die seine freizügigen Zitate anderer Künstler monieren oder ihm die Ausbeutung der kommerzfreien Street-Culture vorwerfen.
Fairey, inzwischen 40 Jahre alt, ist sich seiner ambivalenten Position zwischen musealen Ehren und Street-Credibility durchaus bewusst. Die Tatsache, dass seine Werke nun in etablierten Museen hängen (sein Obama befindet sich in der National Portrait Gallery in Washington), macht ihn zwar nicht zwangsläufig zum Bestandteil des Kunstbetriebs; er weiß aber auch, dass er inzwischen nicht mehr zu den Outsidern zählt.
Derzeit werden Faireys Bilder im Rahmen des New Yorker „Deitch Projects“ gezeigt. Die Ausstellung kann bis Dezember besichtigt werden. Iggy Pop traf Fairey in Los Angeles, kurz bevor dieser nach New York aufbrach.
Pop: Sprechen wir zunächst über das Objekt, das dir soviel Aufmerksamkeit, aber auch soviel Ärger eingebracht hat. Das Obama-Motiv erinnerte mich an Plakate aus dem Mittleren Osten, auf denen man schlichte Konterfeis von politischen Führern sieht, die gerade zum bewaffneten Kampf aufrufen und im Zweifelsfall auch erwarten, dass die Gefolgsleute ihr Leben aufs Spiel setzen. Was ging dir durch den Kopf, als du an diesem Motiv gearbeitet hast?
Fairey: Die Ausgangsposition war in diesem Fall tatsächlich etwas anders als gewöhnlich. Ich habe schon früher Personen verklärend dargestellt, aber das waren dann meist Mitglieder von Black Sabbath oder den Black Panthers. Ich habe in der Vergangenheit auch durchaus politisch gearbeitet, nicht zuletzt 2004, als ich diverse Anti-Bush-Grafiken angefertigt habe. Aber dann wurde Bush wiedergewählt, und mir wurde klar, dass ich meine Position zur politischen Kaste überdenken musste. Ich hatte damals bereits eine Tochter, und als 2008 der Wahlkampf begann, war eine weitere Tochter unterwegs. Ich dachte mir: „Es geht nicht mehr darum, meine Sammlung bösartiger Politiker-Visagen fortzusetzen – es geht um die Zukunft meiner Töchter!“
Das Bild sollte natürlich einen Bezug zu meinen früheren Arbeiten haben, deshalb benutzte ich auch nicht die typischen US-Farben Rot, Weiß und Blau, sondern nahm ein anderes Blau und einen Creme-Ton als Hintergrund. Aber es sollte durchaus eine patriotische Anmutung haben. Ich wollte Obama nicht als Schwarzen darstellen, sondern als nationales Denkmal.
Wenn man eine Person in eine stilisierte Ikone verwandelt, dann heißt das ja, dass jemand zu der Überzeugung kam, dass diese Person die überhöhende Bearbeitung wirklich verdient hat. Und dann wird der Betrachter vielleicht einen Schritt zurücktreten und sagen: „Hm, wenn diese Person von einem anderen derart geschätzt wird, sollte ich mich vielleicht näher mit dieser Person beschäftigen und überprüfen, ob die Hochachtung tatsächlich berechtigt ist.“ Ich war mir sicher, dass viele Zeitgenossen, die diesen Schritt machen würden, sich dann auch Obama als Präsidenten vorstellen könnten. Seine Position gegen den Irak-Krieg, sein Engagement für eine Gesundheitsreform und ökologisches Umdenken, seine Kampfansage an die Lobbyisten in Washington – all das waren Positionen, mit denen ich mich identifizieren konnte.
Pop: Und trotzdem hast du dir verkniffen, diese Details zu thematisieren, weil das Poster sonst an Wirkung verloren hätte.
Fairey: Ich befürchte, dass die amerikanische Öffentlichkeit ausnehmend oberflächlich ist. Insofern gibt dieses Motiv eigentlich jedem die Möglichkeit, seine Sichtweise in das Bild hinein zu interpretieren. Es gab allerdings auch Stimmen, die das Motiv als hohle Propaganda abtaten.
Pop: Wenn ich mich recht erinnere, gab es das Motiv mit und ohne das Wort HOPE.
Fairey: Das ist richtig. Ursprünglich hatte ich das Wort PROGRESS verwendet. Sollte Obama gewinnen, so meine Überlegung, würde sich der Status Quo verändern, was automatisch einen „Fortschritt“ bedeutet hätte. Ich arbeitete an dem Poster zunächst ohne ein Feedback des Obama-Camps; ich konnte mir nicht vorstellen, dass man an meiner Mitarbeit interessiert war. Ich bin nun mal zu dubios und unberechenbar für sie – so wie (der militante Schwarzen-Führer) Louis Farrakhan, dessen Unterstützung die Obama-Leute dankend ablehnten. Aber dann hörte ich, dass ihnen das Motiv ausnehmend gut gefiel, dass sie aber lieber das Wort HOPE oder CHANGE bevorzugen würden. „Progressiv“ ist für viele Amerikaner nun mal ein Schimpfwort, weil es angeblich schnurgerade zum Sozialismus führt.
Also wählte ich HOPE. Wenn die Menschen keine Hoffnung mehr haben, werden sie wehleidig und apathisch. Hoffnung führt zu einer aktiven Veränderung der Umstände. Niemand kann ernsthaft etwas gegen die Hoffnung haben. Es war ein narrensicherer Slogan.
Pop: Gab es auch negatives Feedback?
Fairey: Ja, übers Internet bekam ich reichlich auf die Mütze. Und es waren nicht nur Hass-Mails von Rechtsradikalen, sondern auch aus meiner eigenen subkulturellen Ecke. Man warf mir vor, ich hätte meine Seele verkauft – und statt Obama besser den unabhängigen Kandidaten Ralph Nader unterstützt. Und dann wurde ich noch von AP verklagt, weil ich eines ihrer Fotos als Vorlage benutzt hatte.
Pop: (lacht) Darauf wollte ich hinaus.
Fairey: Das Foto wurde 2006 auf einer Darfur-Konferenz gemacht, die Obama besuchte; es stand also in keinem Zusammenhang mit der Wahlkampagne. Ich bin der Meinung, dass es ästhetisch und konzeptionell so verfremdet wurde, dass ich keine Copyright-Verletzung entdecken kann. AP sieht das natürlich anders, und sie machen mir wirklich die Hölle heiß. Sollten sie gewinnen, müsste ich den Bankrott erklären – und ich kann nur in meinem Interesse, aber auch im Namen der künstlerischen Freiheit hoffen, dass es nicht dazu kommt.
Pop: In die Copyright-Diskussion ist ja viel Bewegung gekommen.
Fairey: Copyrights und geistiges Eigentum sind elementar wichtig. Man sollte immer in der Lage sein, krasse Kopien und geistigen Diebstahl verhindern zu können. Wenn ich viel Zeit darauf verwende, eine Idee auszuarbeiten – und dann kommt jemand, der die Marktlücke sieht und mit meiner Idee Geld verdient, dann ist das natürlich nicht akzeptabel. Aber die Art und Weise, wie ich – und viele andere – Kunst machen, besteht nun einmal darin, dass ich Dinge zitiere; es ist eine visuelle Fortsetzung von Sprache. Es ist ein Stück Kunst, das sich auf einen existierenden Gegenstand bezieht, ihn aber gleichzeitig so transformiert, dass er inhaltlich mit dem Original nur noch wenig gemein hat. Man könnte sogar argumentieren, dass es dem Original ein neues Leben einhaucht, weil es ihm ein völlig neues Publikum zuführt.
Pop: Das Phänomen der viralen Verbreitung.
Fairey: Genau. Das Problem ist doch folgendes: Wenn die Copyright-Gesetze schwammig formuliert sind, haben die Konzerne das nötige Geld und die besseren Anwälte, um ihre Interessen durchzuboxen. Ich will mir ja nicht unnötig Feinde einhandeln, aber es gibt dafür genügend Beispiele. Es war zum Beispiel immer legal, alte Märchen neu zu interpretieren. Doch nun kommt ein großer Konzern, der eine Maus in seinem Logo hat, und behauptet, dass er die Copyrights auf diese Märchen hat. Was es künftig unmöglich machen wird, diese Märchen neu zu interpretieren. Die großen Konzerne versuchen, ein Monopol auf die Produktion von kulturellen Leistungen durchzusetzen. Aber eine Kultur lebt und wächst nun einmal nur dann, wenn möglichst viele Menschen daran teilnehmen.
Im Falle des Obama-Posters wollte ich nur mein Grundrecht auf Meinungsäußerung ausüben – in meinem Fall in visueller Form. Leute, die sich verbal zu Obama äußern wollen, können das ungehindert tun. Wenn ich mich aber zu Obama äußern will, geschieht das nun mal in grafischer Form. Aber ich darf kein Bild anfertigen, das mit einem optischen Zitat arbeitet – weil alle Zitate Copyright-geschützt sind. Ich müsste eine Lizenz zahlen, aber selbst dann damit rechnen, dass ich keine Freigabe bekomme, weil meine politische Position nicht mit der des Lizenzgebers übereinstimmt. Oder ich müsste versuchen, eine Fotosession mit Obama zu bekommen, was natürlich leichter gesagt als getan ist. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird jedenfalls in allen diesen Fällen in Mitleidenschaft gezogen.
Pop: Meine Plattenfirma wird mich vermutlich dafür hassen, aber trotzdem: Wenn Leute durch mich oder meine Arbeit dazu angeregt werden, etwas Eigenes zu schaffen, dann freue ich mich zwar, wenn ich dafür bezahlt werde, aber ich klage auch nicht, wenn ich kein Geld bekomme. Am Ende des Tages ist es der freie Fluss von Ideen, der zählt.
Fairey: Das kann ich nur unterschreiben. Wenn du etwas produzierst, das einen kulturellen Wert hat, wirst du in der Regel auch einen finanziellen Nutzen daraus ziehen können – sei es direkt durch deine Kunst oder ein Buch über deine Kunst oder durch die Einladung zu einer Lesereise.
Pop: Ich las etwas anderes von dir, mit dem ich völlig konform gehe: dass allein der Gedanke, eine Kunstgalerie zu betreten, bei dir eine heftige Antipathie auslöst.
Fairey: Das sind zwei Dinge, die für mich einfach nicht zusammenpassen: auf der einen Seite die elitären Strukturen der Kunstszene – und auf der anderen Seite das Gefühl, dass Kunst wirklich zu Großem berufen ist. Wobei es bei mir schon einen tiefen Eindruck hinterlässt, wenn Kunst in die Öffentlichkeit kommt und eben mehr ist als nur Werbung für ein käufliches Produkt. Ich will auch nicht behaupten, dass ich über dieser Kunstszene stehe – im Gegenteil: Ich bin ein Teil davon. Aber wenn ich einen Aspekt meiner Arbeit liebe, dann ist es der Austausch mit Menschen. Das ist etwas anderes, als wenn Leute in eine Galerie gehen und sagen: „Mir ist bewusst, dass dieses Exponat ein Kunstwerk ist, weil es nun mal in einer Galerie hängt. Also schließe ich mich der allgemeinenen Meinung an und finde es ebenfalls phantastisch.“ Auf der Straße lassen sich die Leute nicht einschüchtern; sie sagen dir schon, wenn ihnen was nicht gefällt.
Pop: Ich habe in Berlin gelebt, als die Mauer noch stand und Ost-Berlin kommunistisch war. Sie hatten dort – staatlich geduldete – Wandmalereien auf den Häuserwänden, die mich an André The Giant und andere großflächige Motive von dir erinnern. Eins meiner liebsten Motive war sieben Stockwerke hoch: eine Milchflasche mit dem Slogan „Trink Milch!“ Das fand ich lustig: Jemand wie ich, der in Michigan aufgewachsen ist, kannte nur „Milky, den Clown“, der immer ganz viel Milch trank und für Milchkonsum warb. Offensichtlich dachte in Ost-Deutschland jemand: „Im Westen gibt es überall Werbung, bei uns nicht. Warum gehen wir nicht mit gutem Beispiel voraus und bewerben etwas, das eindeutig positiv besetzt ist: Trink Milch!“ Und dann gab es noch ein anderes Motiv, das mir auffiel, als ich das erste Mal auf der Autobahn durch die DDR fuhr. Es war ein großes Transparent, das auf einer Autobahnbrücke hing und sinngemäß sagte: „Ich bin nah.“ Ich vermute, es bezog sich auf ihre politische Führung, aber ich weiß bis heute nicht, was es genau bedeutete.
Fairey: Man kann das sicher unterschiedlich interpretieren, etwa wie: „Solltest du mit dem Gedanken spielen, unseren Staat zu verlassen: Mach’s besser nicht, weil ich immer in der Nähe bin und über deine Schulter schaue.“
Pop: Keine besonders angenehme Vorstellung.
Fairey: Es ist sicher ein ausgeprägtes Obrigkeitsdenken, das sich da ausdrückt. Jedenfalls ist es so vage, dass man alles Mögliche hineininterpretieren kann. Als ich den Slogan OBEY in die Welt setzte, wollte ich damit ausdrücken, dass wir in unserem Leben von zahllosen Geboten umgeben sind, auch wenn sie meist nicht explizit ausgesprochen werden. Ich wollte dieses Gefühl in einem Slogan komprimieren – in der Hoffnung, dass der Betrachter über diese Mechanismen nachdenkt und sich der unausgesprochenen Verbote bewusst wird. Das Transparent, das du in der DDR gesehen hast, löst vermutlich die gleichen Assoziationen aus. Normalerweise wird die Werbung ja so verpackt, dass dir der Befehls-Charakter gar nicht bewusst wird. Lustigerweise haben mir viele Leute gesagt, dass meine Arbeit „kommunistisch“ sei. Wahrscheinlich weil sie es automatisch mit dem russischen Konstruktivismus in Verbindung bringen, der in der Tat eine ungewöhnlich prägnante Bildersprache hatte. Viele Leute glauben ja, dass der russische Konstruktivismus keine andere Funktion gehabt habe, als Marx und Lenin ins rechte Licht zu rücken. Aber es gab beispielsweise auch von Aeroflot wirklich beeindruckende Motive. Mit anderen Worten: Die Erkenntnis, dass Werbung und Propaganda zwei Seiten der gleichen Münze sind, ist nicht unbedingt neu.
Pop: In dem Zusammenhang fällt mir auf, dass mir deine Bilder keine Interpretationen aufzwingen; sie geben mir die Freiheit verschiedener Deutungen. In meiner Jugend bedeutete mir das Konzept von „Freiheit“ ungemein viel. Als ich den Song „I Got A Right“ schrieb, war mir klar geworden, dass die Freiheiten, von denen wir in der Schule lernen, eigentlich gar nicht existieren. Ich wollte meine eigene Freiheit deklarieren; der Song war meine kleine Unabhängigkeitserklärung. Und heute? Wenn ich das Verdeck meines Cabrios runterlasse und den Wind im Gesicht spüre, fühle ich mich … frei. Ich weiß, das ist eine abgedroschene Frage, aber was ist eigentlich Freiheit? Was bedeutet das Wort für dich?
Fairey: Ich denke, dass das Wort durch Politiker entwertet wurde, aber in den Köpfen der Bevölkerung noch immer eine Bedeutung hat. Die Leute wollen ihr eigenes Schicksal bestimmen können, aber sie haben nichts dagegen, wenn ihre Freiheit vorher gefiltert wird. Manchmal erwarten sie geradezu, dass man ihnen vorschreibt, was sie zu denken haben – solange sie noch das Gefühl haben, eine freie Entscheidung treffen zu können.
Pop: Solange sie das Gefühl haben, jederzeit das Verdeck ihres Cabrios runterlassen zu können.
Fairey: Genau. Aber wenn das dein einziges Bedürfnis ist, dann weiß ich auch, wie ich dich kontrollieren kann. Ich lass‘ dir bei deinem Cabrio völlig freie Hand, reguliere aber alle anderen Aspekte deines Lebens. Insofern bin ich dankbar dafür, dass meine Arbeiten, zumindest einige, keine vorgefertigten Antworten geben. Ich wünsche mir, dass die Leute ihre eigenen Schlussfolgerungen und Konsequenzen ziehen.
Was meine eigene Freiheit betrifft, so mache ich mir schon Sorgen. Meine Freiheit hängt nicht zuletzt davon ab, ob ich genug Geld habe, um meine Kunst auszuüben und dann durchs Land zu fahren, um meine Arbeiten zu plakatieren oder zu installieren. Falls ich den AP-Prozess verliere, habe ich praktisch die letzten 20 Jahre meines Lebens vergeudet. Die Freiheit, mich so auszudrücken, wie ich es gerne möchte, bedeutet mir viel. Ich habe Angst, wieder bei Null anfangen zu müssen, aber ich habe auch Angst, dass Künstler wie ich nicht mehr zum kulturellen Dialog beitragen können. Unabhängig davon, ob man meine politische Position teilt: Es ist wichtig, dass Künstler wie ich arbeiten können, ohne gleich die Faust eines Prozesses im Nacken zu spüren. Wenn ich das nackte AP-Foto genommen, es illegal reproduziert, dann „Hope“ oder „Elect Obama“ draufgeschrieben hätte, hätte es vermutlich keinerlei Wellen geschlagen – und wäre gleichzeitig eine eindeutige Copyright-Verletzung gewesen.
Pop: Was mich noch interessiert: Gibt es eigentlich Aktivitäten rund um OBEY? Ist das eine Organisation mit Mitgliedern? Tausend Mitgliedern? Fairey: Ich fing mit der André-Sache 1989 an, mit den OBEY-Grafiken 1995. Mein Problem war, dass ich mich immer als Street-Art-Künstler verstand. Ich wollte coole Sachen machen, um die Leute mit coolen Visuals zu irritieren. Aber ich wusste nicht, wie ich davon leben konnte. Ich wuchs in Skateboard- und Punk-Kreisen auf, wo alle Leute nur T-Shirts trugen. Also kam ich auf die Idee, T-Shirts oder Prints oder Sticker zu verkaufen, um so meine Street-Art zu finanzieren. Inzwischen habe ich vier Assistenten, die mir helfen.
Pop: Das ist also die ganze Truppe.
Fairey: Ich habe das ganze OBEY-Projekt so angelegt, dass die Leute kreativ arbeiten können, sich aber auch ums Geschäft kümmern – die alte Utopie von Kunst und Kommerz. Mein Vater, der immer hart gearbeitet hat, nannte mich früher einen Hedonisten, weil ich nichts anderes als mein Skateboard im Kopf hatte. Aber ich habe auf der Highschool viel Zeit und Arbeit in mein Board gesteckt – und dabei gelernt, dass alles, was einen wirklich interessiert, auch immer ein Stück extra Engagement verdient. Besondere Fähigkeiten kann man nun mal nicht im Supermarkt kaufen. Die Leute haben Angst, dass die große, hehre Kunst durch den Kommerz zwangsläufig kompromittiert wird. Aber ich habe die geschäftlichen Aspekte nie Oberhand gewinnen lassen. Ich habe jahrelang als Designer gearbeitet, weil ich dadurch ein festes Einkommen hatte. Also konnte ich die Anti-Bush- und Anti-Irakkrieg-Poster machen, auch wenn ich wusste, dass diese Position in den USA damals sehr unpopulär war. Es störte mich nicht, dass prompt 25 Prozent meiner E-Mail-Abonnenten von Bord gingen. Ich konnte klar und deutlich aussprechen, was mir auf dem Herzen lag, ohne meine Meinung durch den Kommerz kompromittieren zu lassen.
Pop: Manchmal muss man vielleicht durch den Fleischwolf des Systems durch, um am anderen Ende heil rauszukommen.
Fairey: Ich denke, es gibt zwei Arten von Kämpfen. Als ich meinen ersten Job annahm, arbeitete ich in einem Skate-Shop und stellte Sticker her – für 4,25 Dollar die Stunde. Es war „Ich gegen den Rest der Welt“ – was durchaus eine potente Motivation sein kann. Der Überlebens-instinkt kann Berge versetzen. Heute habe ich es mit einem anderen Problem zu tun: Wie kann ich, der ich nicht mehr als Outsider wahrgenommen werde, meine kreativen Ideen weiterhin entwickeln und umsetzen? Es ist ein evolutionärer Kampf. Man kann sich halt nicht mehr an das romantische Selbstverständnis von damals klammern: „Ich bin ein 20-jähriger Punk, der die Städte mit seinen Stickern übersät, und keiner weiß, wer oder was sich dahinter versteckt.“ Ich glaube, dass sich Selbstgefälligkeit erst dann breitmacht, wenn man diesen Kampf aufgegeben hat.
Originally published in INTERVIEW Magazine, May 2010. Courtesy of Interview, Inc.