Oh Heimat, du Fremde
Nach Osteuropa und Frankreich bereist Zach Condon auf der neuen Doppel-EP seines Projekts Beirut jetzt Mexiko und seine eigene Vergangenheit. Besuch bei einem ewig Fremden.
Vor dem Reihenhaus steht ein Gartenzwerg. Zach Condons neue Bleibe am östlichen Rand des New Yorker Stadtteils Williamsburg soll eine permanente sein. Das Backsteinhaus aus den 60er-Jahren wirkt exotisch inmitten der für Brooklyn typischen Brownstones und Holzhäuser. Die Veranda und der Garten sind verwachsen. Gegenüber ein kleiner Park. Zwei Kinder spielen im Januarschnee. Der Trubel der Hipster-Meile Bedford Avenue findet einige U-Bahnstopps weiter westlich statt. Hier will sich jemand zurückziehen. „Ich brauche einen Ort der Ruhe, einen Fixpunkt, um Konzentration zu finden, sonst kann ich nicht schreiben.“
Die Mär vom rastlosen Troubadour, der beinahe zwanghaft fremde Kulturen sammeln muss, hängt dem 22-Jährigen zum Halse raus. „Ich bin kein Ethnologe, kein Weltmusikant oder Kultur-Tourist“ ärgert sich Zach über mediale Zuschreibungen. Und ein bisschen resigniert er dabei. Vielleicht weil er ahnt, dass ihm möglicherweise niemand so recht glauben will. Nicht nach dem Balkan-Blechgebläse des Beirut-Debütalbums GULAG ORKESTAR im Jahr 2006. Nicht nach den „französischen“ Ausflügen des zweiten Albums THE FLYING CLUB CUP. Und wohl auch nicht nach seiner neuen Doppel-EP THE MARCH OF THE ZAPOTEC. Die musikalische Reise führt dieses Mal in das mexikanische Weber-Dörfchen Teotitlan del Valle, wo Condon eine 19-köpfige Musikkapelle namens The Jimenez Band anheuerte. Zwei Wochen lang spielte er dort die erste Tranche der Doppel-EP ein. „Zurückblickend muss ich dann doch über mich schmunzeln, denn das icar durchaus eine Art Souvenir-Tour“, wundert sich Condon über sich selbst.
„Mich faszinieren einfach bestimmte Sounds und Stimmungen. Ein osteuropäischer Trauermarsch klingt so ähnlich wie einer aus Oaxaca in Mexiko. Das ist universell. Die Melancholie, das Drama, die Schönheit in der Trauer.“ Condon sieht die interkulturellen Analogien. „Nach der Kritik an meiner künstlerischen Person habe ich viel über das nachgedacht, was mir eigentlich ganz natürlich erscheint.“ Etwas hilflos kontert er die Vorwürfe, er beute die verschiedenen
Kulturen musikalisch aus, mit einem Zitat des Avantgardefilmers Jan-Luc Godard: „Es kommt nicht darauf an, woher du etwas nimmst, sondern was du daraus machst.“ So weit, so banal, so richtig.
Woher die scheinbar rastlose Aneignung kommt, verrät ein Blick in die Kindheit des Musikers: Die Familie zieht häufig um. „Ich war immer der Neue“ Als Klein-Zach in Albuquerque/New Mexico vom Vater mit einer Gitarre beschenkt wird, kann er nichts mit dem Instrument anfangen, „auf das sich alle Altersgenossen gestürzt haben“. Zach probiert lieber die Trompete. „Sie war wie aus einem Traum, glänzte und tönte so laut -wie nichts anderes. „Zach hat seine musikalischeHeimat gefunden. Nach und nach erweitert er sein Spektrum um das Klavier, Keyboards, Schlaginstrumente und das Akkordeon seiner aus Russland stammenden Großmutter. Dann mit 13 der Job in einem Programmkino. Themenschwerpunkte wie nordafrikanischer Film, Werner Herzog, Nouvelle Vague und schließlich der Balkan-Anfix über den bosnischen Regisseur Emir Kustunca lassen ihn in Gedanken auf Reisen gehen.
Bald wird dem jungen Mann Albuquerque zu eng, die durch das Heulen der Nachtzüge in ihm ausgelöste Sehnsucht zu stark. Nicht untypisch für renitente Mittelschichtsamerikaner: Zach bricht vorzeitig die High School ab und begibt sich auf „Euro-Tour“. In Paris trifft er erneut auf die durch Blech geblasene Schwermutsmusik des Balkans. Kurz nach Rückkehr in die Staaten dann die Gründung des Projekts Beirut mit wechselnder Bandbesetzung und das Album GÜLAG ORKESTRA als internationale Blog-Sensation. Es folgt ein rastloses Tourleben, das weder geplant noch gewollt ist. Im Sommer 2008 wirft Zach schließlich das Handtuch und bricht völlig erschöpft seine Europatournee ab.
Jetzt sitzen wir im Keller seines neuen Hauses. Es ist kalt. Überall liegen und stehen Instrumente herum. Ein Kinderpiano aus Holz, die obligatorische Ukulele und eine Art Xylophon aus Asien, dessen Klang an Gamelan-Musik erinnert. Zach ist blass und stark verkühlt. Er versucht sich einige Takte lang an seinem Song „Postcards From Italy“. Sobald Condon die Töne trifft, verliert sich sein Blick in einer Weite, die hinter die Mauern des Hauses reicht. Es ist alles im Kopf, im Herzen, in diesem Menschen. Kulturklau? Im Popkontext ohnehin eine fruchtlose Frage.
Die zweite Hälfte von MARCII OF THE ZAI’OTIX: trägt den Untertitel „Realpeople – Holland“. Überraschung: Es handelt sich um elektronische Musik, die teilweise noch aus der Zeit vor der Beirut-Gründung datiert. Zach hat sie unter seinem Bedroom-Producer-Pseudonym „Realpeople“ aufgenommen und nie offiziell veröffentlicht. Als kleine Rache an seine Kritikerwill Condon die Zusammenführung dieser scheinbar gegensätzlichen Welten jedoch nicht verstanden wissen. Ob Mariachi-Band oder elektronisches Fiepen, Sound-Eremit oder Ensemble-Leiter, orchestrale Wucht oder minimahstische Pein. Fein säuberlich getrennt in zwei Discs, ist das Idiom des Urhebers die Klammer, die diese Aufnahmen aus verschiedenen Zeiten und Orten nicht nur zusammenhält, sondern darüber hinaus zu einer überraschend stimmigen Kollektion vereint.
Trotz Melancholie und Sehnsucht, formaler Vergangenheit und bemühter Vergänglichkeit: Der Pop von Beirut ist ein durch und durch utopischer. Übrigens: Der Zwerg im Garten des neuen Condon-Hauses stammt noch vom vorigen Besitzer. Oh Heimat, du Fremde.
www.beirutband.com
Albumkritik: S. 74