Kritik

„Outside the Wire” auf Netflix: Elegant wie Bigfoot beim Ballett


Anthony Mackie ballert sich im neuen Netflix-Film „Outside the Wire” durch eine platte Bürgerkriegs-Dystopie. Wir haben uns das vermeintliche Spektakel gegeben und dabei mehr über die Programmplaner*innen von Netflix als die nahe Zukunft gelernt.

Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Netflix den Ausblick auf das Filmjahr 2021. Jede Woche will der Streaming-Gigant eine Eigenproduktion auf den Markt werfen. „Wow, wie ist das denn zu schaffen?”, mag eine der ersten Fragen sein, die einem angesichts dieser fetten Ankündigung zuerst einfallen mögen. Und nachdem man „Outside the Wire” gesehen hat, lichtet sich der Nebel schnell und die einzig mögliche Antwort kristallisiert sich heraus: „In dem wir uns einfach keine große Mühe geben und Geld auf jedes Projekt werfen, an dem ein halbwegs bekannter Name hängt.” – random Programmplaner*in von Netflix, vermutlich.

„Outside the Wire” ist ein Film, der keinen einzigen herausragenden Moment hat – weder inszenatorisch, noch auf irgendeiner tiefergehenden Ebene. Die wird zwar vorgetäuscht, ist aber letztlich nicht existent. Es ist diese Art von Film, für die Netflix vermutlich die Option eingeführt hat, die Wiedergabe auf anderthalbfache Geschwindigkeit zu stellen, da sie schneller in der Erinnerung verblassen, als die Standard-Wiedergabe Schritt halten kann.

Wenn schon Warlord, dann richtig

Blass ist auch das reine Bild – kontrastlos, desaturiert, flach. Für Anthony Mackie, der in „Outside the Wire” einen Androiden-Soldaten (oder Soldaten-Androiden?) spielt, sollte das heimatliche Gefühle auslösen, ist er eine ähnliche Farbgebung doch schon aus dem Marvel Cinematic Universe gewohnt. Doch mit Falcon kracht es zumindest spektakulär. Nicht aber in Regisseur Mikael Håfströms neuem Netflix-Film.

Darin folgen wir im Jahre 2036 dem US-Drohnenpiloten Thomas Harp (Damson Idris), der sich im Gefecht dafür entscheidet, zwei Soldaten*innen aus den eigenen Reihen zu opfern, um Dutzende andere zu retten – entgegen des lautenden Befehls. Die Heeresleitung schickt Harp deshalb zur Strafe an die Front eines irgendwo zwischen Russland und der Ukraine wütenden Bürgerkrieges, wo das US-Militär – wie sollte es auch anders sein – auf Friedensmission eingesetzt ist. Dort wird er Leo (Anthony Mackie), einem Androiden, unterstellt, der vermeintlich auf der Suche nach dem örtlichen Warlord Victor Koval (völlig verschenkt: Pilou Asbæk) ist. Der wiederum ist auf der Suche nach alten russischen Atomraketen. Wenn schon Warlord, dann halt auch so richtig mit nuklearem Holocaust und so. Als ob man im Action-Kino nur noch etwas spüren würde, wenn wirklich ALLES auf dem Spiel steht.

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Und genau da liegt eines der vielen Probleme von „Outside the Wire”. Der Film versucht, eine hochbrenzlige Situation zu verkaufen, ohne den Zuschauer*innen zu verraten, worum es eigentlich geht, welche Welt das eigentlich ist, die da droht unterzugehen. „Wenn Koval die Atombomben findet, bedeutet das das Ende der Welt, wie wir sie kennen”, raunt Leo bedeutungsschwanger Harp zu. Nur wer ist dieses „wir”? Die Zuschauer*innen jedenfalls nicht. Wie sieht unsere Welt in 16 Jahren aus? Wie hat sich die Gesellschaft entwickelt? Hat der Klimawandel mittlerweile den halben Planeten unbewohnbar gemacht? Wir erfahren es einfach nicht. Und damit kann das Szenario noch so bedrohlich klingen, das fehlende Worldbuilding sorgt in erster Linie für Schulterzucken anstelle von Mitfiebern.

Spock würde sich im Grabe umdrehen

In seinen besten Momenten erinnert „Outside the Wire” an Filme wie „Terminator”, „Ex Machina”, „Chappie”, „Upgrade” oder „Children of Men” – wenn sich durch verlassene Häuserruinen geballert wird, wenn Leo seine Robo-Muskeln spielen lässt und wenn à la Spock aus „Star Trek” („Das Wohl von Vielen, es wiegt schwerer als das Wohl von Wenigen oder eines Einzelnen”) über den Wert eines einzelnen Menschen diskutiert wird. Aber diese Momente sind von noch wesentlich kürzerer Dauer als der Zeitraum, in dem man das Autoplay der nächsten Episode auf Netflix abbrechen kann.

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Zum Glück spielt Anthony Mackie eine Maschine. Denn sonst müsste man von ihm fast schon eine schauspielerische Breite erwarten, die das Drehbuch nicht hergibt. Das speist die Zuschauer*innen lieber mit wahnsinnig ausgelutschten Plattitüden wie „Krieg ist scheußlich. Manchmal muss man sich schmutzig machen, um echte Veränderungen zu sehen” ab und klopft sich dabei noch zufrieden auf die Schulter. Aber das ist eben das Ergebnis, wenn man mit Co-Autor Rob Yescombe jemanden an das Skript lässt, der uns bereits absolute Storyperlen wie „Rambo: The Video Game” sowie zwei Teile der „Crysis”-Spielereihe beschert hat.

Kaum dichter als ein Nudelsieb

„Outside the Wire” ist in ethischen und philosophischen Fragen deshalb genauso elegant, wie Bigfoot beim Ballett. Das Trolley-Problem mit einer Atombombe statt eines Spurwagens durchzuspielen, ist in etwa so originell, interessant und erkenntnisbringend, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen. Die Charaktere sind kaum dichter geschrieben als ein Nudelsieb. Zentrale Momente Leos, der seine Autorität in erster Linie aus verschränkten Armen und leicht zu großen Pullovern anstelle brillant-strategischer Denke zu ziehen scheint, zelebrieren die völlig überholte Drehbuchkunst längst verblasster Action-Streifen.

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Aber nicht mal für wohlige Nostalgie reicht es in diesem Film. Genau genommen reicht es für so ziemlich gar nichts. „Outside the Wire” kann getrost ignoriert werden. Und wer gar nicht auf Anthony Mackie verzichten kann: „The Falcon and The Winter Soldier” erscheint in gut zwei Monaten auf Disney+.

„Outside the Wire“ ist seit dem 15. Januar 2021 auf Netflix im Stream verfügbar

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