Paul McCartney – München, Königsplatz


Regen, Rührung, Rock’n’Roll: Was unpeinliche Nostalgie angeht, macht Macca keiner etwas vor.

Beatlemania 2003: Das Mädchen mit den langen, blonden Haaren -16, höchstens 17 – hält es nicht mehr auf seinem Sitz. Als die ersten Töne von „Can’t Buy Me Love“ durch den Schnürlregen wehen, ist da nur noch ein Hüpfen und Jauchzen, ein Tanzen und – vor allem – ein Singen. Denn das Mädchen mit den langen, blonden Haaren und seine gleichaltrige Freundin haben ebenso wie die Mittvierziger neben und der Endfünfziger hinter ihnen jede Zeile eines jeden Liedes drauf, das Paul McCartney hier und heute spielt. Und das, Herrschaften, sind nicht wenige. Gut zweieinhalb Stunden lang spaziert Master Macca von „All My Loving“ bis „Your Loving Flame“ einmal quer durch seinen imposanten Songkatalog, gibt den ewig jungen Charmeur ebenso gekonnt wie den Elder Statesman, den Rock’n’Roller so stilsicher wie den Balladeer und lässt die 20.000 bis auf die Haut durchnässten Besucher die Unbill des Wetters ebenso vergessen wie manch organisatorische Unzulänglichkeit (das Mantra des Abends: „..’Tschuldigung, was ist das hier für ein Block?“). All jene, denen Nostalgie ein Gräuel ist und die mit Musik bar jeglicher soziokultureller Relevanz nichts anfangen können, vernehmen’s mit Schaudern: Natürlich bestehen circa 70 Prozent des McCartney-Sets aus Beatles-Songs, der Rest aus ausgewähltem Solo- und Wings-Material („Band On The Run“, „Let Me Roll It“, „Lonely Road“, „Calico Skies“, Songs, die ohne Qualitätsdelle zwischen „Here, There And Everywhere“ und – ähem – „Michelle“ passen), und natürlich ist das gut so. Denn, hey, wer will schon einen „Fab One“ auf der Bühne haben und „Little Lamb“ (Sie brauchen nicht nachzusehen, es ist von Red Rose Speedwav) hören müssen, „Silly Love Songs“ oder anderes halbgares Zeuchs. Nein, hier geht’s ums Wesentliche: um den Singalong bei „Hey Jude“, die verstohlenen Tränen bei „Let It Be“, um „Something“, auf der Ukulele gespielt und George gewidmet, das herrlich halbstarke „I Saw Her Standing There“, um „Yesterday“ und all die anderen Klassiker. Es geht darum, dass hier eine unfassbar kompetente, dabei angenehm abgespeckte (keine 27 Background-Sänger und Streichertrupps) Band – Abe Laboriel jr. (Drums), Brian Ray (Gitarre, Bass), Paul Wickens (Keyboards) und Rusty Anderson (Gitarre) – am Werk ist. Vor allem aber geht es darum, dass da oben ein 60-Jähriger steht und „Lady Madonna, lying on the bed, tistening to the music playing in your head“ singt, und es auf einmal nicht mehr wichtig ist, wie ernst er das meint, wie viele Fantastilliarden er besitzt oder wasweißichnoch. „Unsere Legenden“, lässt Regisseur John Ford einen Protagonisten in „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ sagen, „wollen wir uns erhalten, weil sie wahr geworden sind.“ Auf dem Heimweg hören wir die Musik in unseren Köpfen und sehen etwas Buntes sich in den Pfützen spiegeln – unsere Träume von einst?

P.S.: Und das nächste Album nennen wir nicht mehr Driving Rain oder so, sondern vielleicht „Hot Night“. Einverstanden?

P.P.S.: Ja, die Sache mit dem „roten“ und dem „blauen“ Album (siehe Hirnflimmern 5/03): „Amnesia digitalis“ war’s, ein dreimonatiges Fieber, dessen Narben ein Leben lang nicht mehr verheilen. Immerhin ein Trost: Beim Kollegen Josef Winkler haben sie’s bestimmt gut.

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