Pierce auf der Pirsch
Die 60er Jahre habe ich als Kind damit verbracht. Vögel von Telefondrähten herunterzuschießen. Nebenbei hörte ich auch noch ein bißchen von den Beatles; doch das meiste, was ich musikalisch aus den 60ern kenne, habe ich durch Blondie kennengelernt. Chris (Stein) und Debbie (Harry) drückten mir Geld in die Hand und sagten: Hier, geh und kauf dir eine Lovin‘ Spoonful-Greatest Hits-Platte!“
Diese Vergangenheitsbewältigung kommt aus dem Mund des gebürtigen Texaners und ehemaligen Präsidenten des Blondie-Fander so hungrig & schreiend singt wie der hohle Prärie-Wind, ging einst auf die Knie, betete zu Elvis, hörte sich schwarze Blues- und weiße Country-Musik an und gründete 1980 zusammen mit dem späteren Cramps-Gitarristen Brian Tristan den Gun Club.
Der blonde Sänger und Gelegenheitsgitarrist Pierce hatte zuvor in Los Angeles beim Musikmagazin „Slash“ als Mitarbeiter ausschließlich über Reggae-Musik geschrieben, „weil ich dauernd stoned war und keine schnelle Musik hören wollte.“
Der ruhelose Gun Club war schmutzig und schnell: für Pierce war die Formation aber nur eine Station unter vielen:“.Ich versuche, mich auszudehnen, denn beim Gun Club, der so einen spezifischen Sound hat, ist nicht viel Platz für andere Ideen“, erzählte er mir bereits vor drei Jahren (das zweite Gun Club Album MIAMI war gerade erschienen).
Und Pierce dehnte sich aus und fand eine befriedigende Betätigung als Gastgitarrist der Voodoo-Gang Tex and The Horseheads, deren Sängerin Texacala Linda Jones auf der späteren Gun Club EP DEATH PARTY mitwirkte. Jeffrey ging weiter seinen Weg (außerhalb des Gun Clubs, der noch am Leben war): Zusammen mit seinem heimlichen Frauenidol Debbie Harry komponierte er gitarrenorientierte Popsongs, die aber bis heute nicht veröffentlicht wurden. In New York traf er auf Billy Idol – doch blieb es bei einem kurzweiligen tete-a-tete der zwei Blonden.
Ende 83 erscheint das Doppelalbum ENGLISH AS A SECOND LANGUAGE, auf dem diverse Pioniere der Los Angeles Szene kurze literarische/musikalische Vorträge zum besten geben (darunter sind Charles Bukowski und Dave Alvin von den Blasters): Pierce taucht mit seinem Gedicht „Blacks“ auf, einer gesprochenen Hymne an die schwarze Kultur.
Ende ’84 kam dann auch das Ende des Gun Club: Gitarrist Brian Tristan und die ßassistin Patricia Morrison gründen ihre neue Gang, The Für Bible, während Jeffrey Lee Pierce nun endlich mit seiner Gitarre den weiten Visionen von Sex/ Gott/Gewalt freien Lauf lassen kann.
Pierce zeigt sich heute – auf dem Cover zum Album WILDWEED mit Gewehr, eine Pose, in der sich auch der Pierce-Freund und Allround-Poet William Burroughs gern ablichten läßt. Waffennarr? Zorro? Oder doch nur ein einsamer Junge, der auch optisch demonstrieren will, daß er seinen eigenen Weg geht?