Red Hot Chili Peppers
Drei Jahre mußten die Fans auf den Nachfolger von 'Blood, Sugar, Sex, Magik' warten. Nun ist 'One Hot Minute' da, und die Peppers erzählen Severin Mevissen, warum sie sowenig Zeit haben.
Die Geburt eines Elefantenbabys ist ein Dreck verglichen mit der Veröffentlichung eines neuen Chili Pepper-Albums. Seit 1992 ging die Band schwanger mit dem neuen Werk, doch erst jetzt, nach zahllosen Verzögerungen und Vertröstungen und nach über eineinhalbjähriger harter Arbeit, kommt mit ‚One Hot Minute‘ der Chilis jüngster Streich. Uff. Und mit dem Baby, pardon, dem Album, ist auch die Band wieder aufgetaucht. Aufgetaucht aus der Versenkung, aus der sie zwischendurch nur sporadisch ihre Köpfe gesteckt hatten, und dann auch noch verkleidet als riesige Glühbirnen.
Doch selbst wenn sie mir nun unmaskiert gegenüber sitzen, und Fragen auf sich abfeuern lassen – es fällt schwer, ein klares Bild von ihnen zu bekommen. Das liegt an verschiedenen Faktoren. Da wäre als erstes das Image der Chili Peppers, ein Image, das bestimmt wird durch harten Rock’n’Roll, durch Auftritte, bei denen Sänger Anthony Kiedis Zuschauem des weiblichen Geschlechts den Schwengel quer übers Gesicht zieht (Er stritt es ab, ein US-Gericht verurteilte ihn trotzdem), und durch Albereien wie das Foto, auf dem sie nackt nebeneinander stehen, ihre Männlichkeit spärlich verhüllt von Socken, ziemlich langen immerhin.
Dann haben wir da die Bandgeschichte. Nicht ganz so lustig. Zwei der aktuellen Besetzung -Anthony Kiedis und Dave Navarro – waren Heroinsüchtig. Ur-Chili-Pepper Hillel Slovak gab sich am 27.6.1988 den Goldenen Schuß. Und auch die beiden anderen, Michael Balzray, besser bekannt als Flea, und Chad Smith, hatten im Laufe der Jahre entweder mit Drogen- oder psychischen Problemen zu kämpfen. Zu den persönlichen Problemen kam auch noch der überraschende Ausstieg des langjährigen Gitarristen John Frusciante während der Japan-Tour 1992, der die Band in ihre bislang größte Krise stürzte.
Frusciante war wichtig gewesen. Nach SlovaksTod, und nach einem Zwischenspiel „des kompletten Arschlochs“ (O-Ton Flea!) Jack Sherman, war es Frusciante, der den Chili Peppers entscheidend zum großen Durchbruch verhalf. Für das 89er Album ‚Mother Milk‘, und später dann für ‚Blood, Sugar, Sex, Magik‘ schrieb er nach eigener Angabe „60 Prozent der Musik, und Flea vielleicht 40!“.
Aber Frusciante war und ist ein zu extremer Mensch, um in einer kommerziell erfolgreichen Band zu bestehen. Bereits nach den Aufnahmen zu ‚Blood, Sugar, Sex, Magik‘ driftete er weg von der Band, vor allem von deren Leader Kiedis, mit dem er persönlich nicht klar kam. Zwei aktuelle Zitate, die Frusciantes und Kiedis Beziehung zueinander verdeutlichen: „Der Text zu (‚Mother Milk‘-Hit) ‚Knock Me Down‘ war das blödeste, das ich je gehört hatte“ (Frusciante), „Wenn’s hoch kommt, halten wir telepathischen Kontakt zueinander.“ (Kiedis).
„Während der letzten vier Jahre ist viel passiert“, , resümiert Anthony Kiedis. „Emotioneil, spirituell, physisch… Babys wurden geboren, Freundschaften lösten sich auf, Leute wurden über’s Ohr gehauen…und wir waren tauchen!“. Tauchen? Wie in ‚Abtauchen‘? Die Peppers sind eine seltsame Truppe geworden. Sie entsprechen in Persona ganz und gar nicht ihrem öffentlichen Image. Sie sehen nicht so aus, als ob sie jemandem nur aus Alberei ihren Pimmel ins Gesicht strecken würden, und im Gespräch geben sie sich alle bedeutend imagebewußter, als man es ihnen beim besten Willen zutrauen möchte. Und sie sind bestimmt keine dumpfen, seelenlosen Ex-Junkies, die gerade auf dem Rock & Roll-Highway nach unten rauschen. Sie setzen ihre Pri- , oritäten an- ‚ ders, sie leben in einer anderen Dimension. Solange sie als alternative Clowns gehandelt wurden, war der der Einsatz noch gering und der Spaß noch glaubhaft, auch für die Akteure selber. Heute ¿ im profitablen Mainstream – ist das Leben riskanter. Eine falsche Antwort auf die richtige Frage, und eine millionenschwere Investition steht auf dem Spiel. So setzt man vorsichtshalber Absurdität als Verteidigungswall vor kritischen Blicken ein.
Beispiel Dave Navarro: „Ich hoffe, daß ich nicht wirklich in der Zeit, in der ich momentan zu existieren scheine, existiere.“
Wie bitte? Warum das nicht? Du bist gottverflucht der Gitarrist der „größten Band der Welt“ (NME-Zitat), laut Presse ein „Sexsymbol der 90er“, ein fraglos talentierter Musiker und willst nicht in diesem Szenario existieren? Warum nicht? „Du hättest nicht genügend Kassetten, um die Antwort aufzunehmen…“ Rauchbomben funktionieren nicht als Antwort, vor allem nicht, wenn sie ziellos vor staunende Massen geworfen werden. „Wir können auf gewisse Fragen einfach nicht mit Worten antworten. Worte sind limitiert“, erläutert Kiedis verklärt, „wir sind gewohnt, uns durch unsere Musik auszudrücken.“
Der Legende nach wollte Navarro nicht nur „nicht in dieser Zeit existieren“, er wollte noch nicht einmal der neue Gitarrist der Chili Peppers sein. Bereits nach Frusciantes Ausstieg versuchten die Peppers, ihn aus dem frischen Janes-Addiction-Trümmerhaufen heraus zu heuern, aber damals hatte Navarro andere Sorgen. „Ich kam aus einer der dunkelsten Phasen meines Lebens“, gesteht er, und meint damit die Zeit, in der seine
Mutter und seine Tante ermordet wurden und er mit seiner Heroinsucht kämpfte. „Ich war mir nicht sicher, ob ich ein Pepper sein wollte, und deshalb lehnte ich erst mal ab.“ Er lehnte noch ein weiteres Angebot ab: Guns N’Roses wollten ihn als Ersatz für Izzy Stradlin holen. Doch bei dieser Entscheidung mußte Navarro noch nicht mal lange überlegen: „Guns N’Roses machen nicht gerade die Musik, die ich mag, und außerdem sind sie so eine riesige Organisation, daß ich regelrecht Angst davor hatte, ihnen beizutreten“, begründet er seinen Entschluß. Irgendwann damals, mit soviel Drama und Aufregung in seinem Leben, muß sich Navarro eine Zen-mäßige Lebenseinstellung geholt haben, die den heute gerade mal 28jährigen genauso alt und reif (und gleichzeitig unreif) erscheinen läßt, wie seine um einiges älteren Bandkollegen. „Mir ist alles scheißegal“, gibt er zu. „Nicht, daß ich mich nicht um wichtige Dinge wie Weltfrieden, soziale Probleme, Politik oder Umweltverschmutzung kümmere, aber ich rege mich nicht darüber auf. Naja, ich rege mich schon auf, aber ich kanalisiere meine Wut in die Musik. Musik ist das Ventil. Musik ist Therapie. Ohne Musik wäre ich schon lange ein Fall für den Psychiater.“
Diese Sichtweise, daß Musik aus dem Gefühl und nicht aus der Überlegung heraus entve als Gitarristen emzufangen. Unter dem Vorwand, ein wenig jammen zu wollen, lockten ihn Flea und Chad ins Studio. Zu Navarros Überraschung tauchte dort auch Kiedis auf, ignorierte Daves Frage „Was soll das denn werden?“, und griff sich das Mikro. Die Session lief gut, und als die drei Peppers ihn in einer Pause erneut fragten, ob er einsteigen wollte, sagte er ja.
Die musikalische Zusammenarbeit mit Navarro und seinem Wah-Wah-geprägten, komplexen Gitarrenspiel lief bestenfalls schleppend an. Eine Zeitlang war die Band „kurz vorm Implodieren“, voller Ideen, die sie nicht umsetzen konnte. Ein viermonatiger Aufenthalt in einem abgelegenen Studio/Haus auf Hawaii zündete endlich den bis dahin stotternden Chili-Pepper-Motor.
springt, teilt er mit seinen Kollegen. Und tausend anderen Bands im Spotlight. „Gefühl und Ehrlichkeit waren und sind noch immer die Hauptantriebsfedern für unsere Musik“, meint Kiedis, und hört sich dabei an wie seine eigene Pressemaschine. „Wir schreiben keine Songs um die Plattenfirma zu erfreuen, oder um die Erwartungen bestimmter Leute zu erfüllen. Wir schreiben Songs, von denen wir wissen, daß sie ehrlich sind und die wir schreiben müssen.“ Naja. Deja-Vu alloveragain.
Ein Jahr nach ihrem ersten Versuch gelang es den Peppers, DaDie Band probte „ohne Zwang, etwas aufzunehmen“, und Kiedis widerfuhr laut eigener Aussage eines seiner einschneidendsten Erlebnisse („Ich verlor beim Baden im Fluß meinen Lieblingsring. Die Feen des Flusses wollten ihn, und holten ihn sich. Es war schön“).
Erneut unter der Regie von Überproduzent Rick Rubin und mit Gastmusikern wie John Lurie, der sie acht Jahre zuvor in einem kleinen Club in New Orleans nackt auf dem Saxophon begleitet hatte, spielten sie 15 Songs ein. Allesamt Ausdruck des vergangenen Wahnsinns und mehr oder weniger direkt mit Erlebnissen der Bandmitglieder verknüpft. Songs wie ‚Deep Kick‘, eine Kurz-Biographie Anthonys und Fleas gemeinsamer Jugend, ‚Transcending‘, eine Ode an Fleas verstorbenen Freund River Phoenix, ‚Pea‘, eine Solonummer von Flea, in der er all die „homophobic redneck dickheads“ anprangert, „die nicht sehen wollen, daß wir alle nur ein kleines Teilchen einer großen Masse sind“, und ‚Shallow Be Thy Game‘, in dem Kiedis mit dem Katholizismus (!) abrechnet. Es wäre falsch anzunehmen, die Platte strotze nur so vor Wut, Trauer, Angst und Nabelschau. Navarro behauptet sogar, das Ganze sei recht lustig geraten: „Der Unterschied zwischen Jane’s Addiction und den Chili Peppers ist, daß ich meine glückliche Seite in die Musik einfließen lasse.“
„Daves komische Seite kam ziemlich schnell zum Vorschein“, berichtigt Kiedis (man beachte den feinen rhetorischen Unterschied zwischen „glücklich“ und „komisch“!). „Auf der Rückseite seiner Gitarren-Pick-Ups sind die Namen aller bisherigen Chili-Pepper-Gitarristen eingraviert. Und hinter seinem ließ er ein Fragezeichen setzen. Aber“, dabei blickt Kiedis Navarro tief in die Augen, „ich glaube, Dave ist das Fragezeichen. Der Name Dave Navarro steht für eine vorangegangene Lebensform…“ Spinal Tab läßt grüßen.
Die Peppers werden – in welcher Lebensform auch immer – ab September auf Tournee gehen, obwohl auch dies mit RHCP-typischen Problemen belastet war. (Kiedis: „Niemand will als Vorgruppe spielen, weil sie alle denken, wir sind Arschlöcher“). Die Tour sieht Dave mit gemischten Gefühlen. Im Gegensatz zu den anderen, besonders Flea, der mit seiner sechsjährigen Tochter Clara zurück in seine Heimat Australien auswandern will, ist Navarro „nirgendwo lieber als in Los Angeles, der Stadt, in der ich geboren wurde und in der ich mich zuhause fühle.“ In fünf bis zehn Jahren will er nicht mehr touren. Noch nicht mal mehr in einer Band spielen. „Ich mach das jetzt seit über zehn Jahren, irgendwann hat es sich ausgereizt. Dann will ich nur noch produzieren, mixen und remixen, so wie ich es mit Chad für das Album von Tracy Lords getan habe. Ich will irgendwann ein Leben haben.“ Ja und was machen dann die Peppers?
RED HOT CHILI PEPPERS One Hot Minute (WEA) Über drei Jahre und drei – oder waren es vier? – Gitarristen später: Das Nachfolgealbum des international gefeierten Albums BLOOD, SU-GAR, SEX, MAGIC ist endlich fertig. Die neuen Chili Peppers, jetzt mit Ex-Jane’s-Addiction-Mitglied Dave Navarro an der Gitarre, geben sich relaxed und lassen sich viel Zeit für ihre Songs, die selten kürzer als fünf Minuten sind und auch schon mal die Sieben-Minuten-Grenze sprengen. Die dynamischen Alternative-Funk-Knaller mußten mehr zurückgelehnten, oft dunklen Balladen weichen, die allerdings an das Kaliber von Hits wie ‚Under The Bridge‘ oder ‚Breaking The Girl‘ nicht ganz heranreichen. So schlendert Sänger Anthony Kiedis in Tracks wie ‚Walkabout‘ mal wieder durch die Stadt, murmelt vor sich hin, und im Hintergrund dudeln – noch Minuten nachdem der Gesang verklungen ist konventionelle Funkklänge. Aber auch die schnelleren Stücke haben ein wenig an Energie und Pep eingebüßt. Die Band hatte früher in jedem Track eine Überraschung parat und brachte mit abrupten und ultra-tighten Breaks Leben in die Songbude. Heute gefällt sie sich mit mantramäßigen Wiederholungen von Gesangspassagen und musikalischen Elementen. Das sind immer noch unverkennbar die Peppers aber ohne Chili! Vielleicht hat sich mit dem Ausscheiden des genialen Ausnahmegitarristen lohn Frusciante auch der kindliche Spiel- und Experimentiertrieb, sowie ein gerüttelt Maß an Spontaneität von der Gruppe verabschiedet. Denn Frusciante prägte den Sound der Band durch sein unberechenbares, selbstvergessenes Spiel, und sein Songwriting formte das musikalische Bild der Band. Insgesamt ist ‚One Hot Minute‘ ein Album, das für eine Gruppe vom Format der Peppers etwas zu konventionell ausgefallen ist. Bleibt zu hoffen, daß das Quartett sich bald vom kreativen Koma erholt und wieder mal kräftig in den Chili-Topf greift. Vielleicht beim nächsten Album? Und vielleicht müßen wir dann nicht mehr so lange drauf warten?