Billie Eilish
HIT ME HARD AND SOFT
Interscope/Unversal (VÖ: 17.5.)
Das Pop-Album, an dem sich alle anderen werden messen müssen.
Billie Eilish nimmt sich Zeit. Fünf der neuen Songs laufen fünf Minuten oder länger, das ist im Age of Streaming & TikTok eine Ewigkeit. Insgesamt bietet HIT ME HARD AND SOFT zehn Stücke, macht in der Summe ein Album knapp unter 45 Minuten, das sich auf eine LP pressen lässt. Das ist ein gewollter Move gegen den Format- und Materialwahnsinn, gegen Bonus und Deluxe. GaLiGrü, Taylor!
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AmazonNun sagt die Länge eines Liedes nichts über die Qualität aus. Aber dann läuft „Chihiro“, benannt nach der zehn Jahre alten Heldin aus dem Manga „Spirited Away“: Der Song beginnt als gedämpfter und gewaschener Discotrack, setzt nach zwei Minuten zu einer kurzen kosmischen Himmelfahrt an, um sich – begleitet von japanischen Melodiepartikeln – langsam zu öffnen und im Finale die Sonne zu berühren. Jeder Popsong des Jahres wird sich ab jetzt an diesem messen müssen.
Wie gewohnt hat Billie Eilish das Album mit ihrem Bruder Finneas O’Connell produziert, und die beiden werden immer besser. HIT ME HARD AND SOFT mit Headphones zu hören, bietet einen gigantischen Mehrwert. Von überall her tauchen Effekte, Stimmen oder Instrumente auf, es ist eine wirklich außergewöhnliche Erfahrung. In den zehn Songs schmiegt sich Billie Eilish an allerhand alte Genres an, die derzeit eine ungeahnte Renaissance erfahren. „Skinny“ kombiniert Dreampop mit Jazz-Pop-Akkorden wie bei The Durutti Column oder den frühen Everything But The Girl.
Es geht um den Verlust von Liebe und Freiheit, um verpasste Chancen und ein Dasein wie im Vogelkäfig
„Birds Of A Feather“ hat den Vibe von College-Pop-Bands aus den 80ern, mit Sängerinnen, die Blumenkleider und Strohhüte trugen. „The Greatest“ huldigt im Titel und mit der Musik Cat Power, „The Diner“ wirkt wie Billies Bewerbung bei den Gorillaz, „Bittersuite“ ist digitaler Cocktail-Pop, „Blue“ eine Studie in Schwermut, die allerhand Täler durchläuft, um am Ende im TripHop-Dauerregen auf der Strecke zu bleiben.
Wenig überraschend sind die Texte. Es geht um den Verlust von Liebe und Freiheit, um verpasste Chancen und ein Dasein wie im Vogelkäfig, immer an der Kante zur depressiven Stimmung. In „L’amour De Ma Vie“ laufen diesen Themen zusammen: Billie Eilish singt extrem nah am Mikro, nutzt ihr Tremolo, der sonst gern genutzte Hall wird abgeschaltet. Liebe ist Lüge, ist Enttäuschung, ist Quatsch. Dann schaltet sich einen Puppenstimme ein, wie aus einem Horrorfilm: Wenn du das alles weißt, warum dann das Drama? Nun beginnt der Track zu hüpfen wie ein Europophit, wie die Venga Boys auf einem Kraftwerk-Trip, bevor Billie Eilish mit verzerrter Stimme ratlos und verstört feststellt: „It’s such a pity/ We’re both so pretty.“ Gleich noch einmal hören. Es gibt noch so viel zu entdecken.
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