Kettcar

Ich vs. Wir

Grand Hotel van Cleef/Indigo (VÖ: 13.10)

Aus Befindlichkeitsrock wird Betroffenheitsrock, unversöhnlich und mit neuer Dringlichkeit.

Freunden von akustischem Studentenfutter muss man nicht erst erklären, was genau Marcus Wiebusch hier wieder macht. Sie mögen den betulichen Vortrag mit seiner selbstkritischen Dialektik, das thesenhaft dahergestelzte Argumentieren in Reimen, ja selbst die breit­ärschige Instrumentierung. Der Rezensent räumt ein, dieses Album fürchterlich gefunden haben zu wollen. Vor allem wegen der bereits im Vorfeld ausgekoppelten Wiedervereinigungs­fantasie „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ – gelobt von Juli Zeh bis Benedict Wells. Aber auch wegen der musikalischen Bequemlichkeit, die in so heftigem Kontrast steht zur Unbequemlichkeit, die doch in den Texten suggeriert wird.

Und dann, tja, legen sie auf ICH VS. WIR kompakte Kurzgeschichten hin wie „Trostbrücke Süd“, die aufhören und dann wieder anfangen, um in einer groß­artig hymnischen Zeile zu münden wie „Wenn du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser“. Noch großartiger nur die längstens überfällige Anti-Fußball-Hymne „Mannschaftsaufstellung“ mit ihrer eleganten Engführung von Nationalismus und Sport – und dem Chorus: „Und als wir gemeinsam vor dem Radio saßen, die Aufstellung hörten und unser Abendbrot aßen, nahmst du meine Hand und sagtest: Liebling, ich bin gegen Deutschland“. Nachspiel? Okay: „Irgendjemand sagt Gutmensch, und du entsicherst den Revolver“.

Yeah. Ich bin für Kettcar, zu meiner eigenen Überraschung. Und überraschend sollte Musik doch sein, oder?

 

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