Sarah Kuttner – Die Kolumne
Es plagt mich dieser Tage vor allem ein Problem: der „Echo“, dieses buckelige deutsche Gegenstück zum US-amerikanischen Grammy, wirft mal wieder seine Schatten unter die Augen. Eigentlich eine Veranstaltung mit ordentlich Geisterbahn-Appeal: stundenlanges Rumgesitze Igerne neben irgendwelchen Deutschpop-Mutanten], und auf der Bühne überreichen sich Seal, Anastacia, Westernhagen und andere Grusel-Entertainer gegenseitig irgendwelche Langweilerpokale. Man könnte also glatt mal die Kerze an beiden Enden anzünden, alles auf eine Karte setzen und einfach nicht hingehen. Ha!
Allerdings ist es so, daß ich, wenn ich bis Februar immer noch noch keine Echo-Einladung erhalten habe, sofort eingeschnappt bin und anfange rumzunerven, weil mir bei Nichteinladung die Angst, etwas (= Westernhagen, Anastacia, Seal] zu verpassen, ordentlich Panik bereitet. Unsympathisch, ich weiß. Also gehe ich doch jedesmal wieder hin.
Vor Ort wird mir dann immer klar, daß der schlimmste Teil des Abends gar nicht die 18stündige Prunkveranstaltung selbst ist, sondern die anschließende Party. Für die zugegebenermaßen stets sehr leckeren Event-Buffett-Häppchen zahlt man nämlich den großen Preis des Smalltalks. Und für Smalltalk bin ich leider nach wie vor hochgradig ungeeignet. Nicht weil ich mich lieber über mongolische Porzellanmalerei unterhalten möchte – ich hab’s einfach nicht drauf! Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, neige ich leider dazu, ernsthaft zu antworten und kilometerweit auszuholen. Ich erzähl‘ dann schon auch mal davon, daß ich, seit ich letztens mal zu zügig um die Ecke gegangen bin, vermutlich Wasser in der Schulter hab oder daß meine Laune im Keller ist, weil mich letztens nach der Show der Bassist von Mando Diao in einen Schrank eingesperrt hat. Dieses meiner Meinung nach durch und durch begründete Ausholen wiederum führt unweigerlich zu noch längeren Smalltalks.
Mir sind deshalb auch Kollegen suspekt, die ihren Beruf vor allem deshalb ausüben, weil man „da so viele tolle Leute kennenlernt und soviel rumkommt.“ BLÖDSINN! Ich will keine neuen Leute kennenlernen. Ich kenne genug, und ich kann mir sowieso grad noch die Namen meiner Eltern merken. Auch das Zustecken von Visitenkarten bringt nichts, die landen eh nur als Filter in den Quatschzigaretten meiner Freunde oder werden sofort in andere Hosentaschen weitergesteckt.
Allerdings kann man von mir erwarten, daß ich an der Party/Event-etc.-Front nicht vollends klemme. Aus diesem Grund habe ich jüngst meine Alkoholabstinenz nach knapp zehn Jahren feierlich beendet und bin bereitwillig ins Land der Saufsportler zurückgekehrt. Es war auf dem „Comet“, wo ich mir vor lauter Langeweile plötzlich Alkohol ins Gesicht zu schütten begann, um mich nur wenige Stunden später von Sven Schuhmacher in einer Postkutsche auf den Saturn fahren zu lassen. (Jedenfalls hielt ich es für eine Postkutsche … aber es war doch Sven Schuhmacher, oder???) Und ja. es ist tatsächlich so simpel: seit ich mir wieder Hochprozentiges ins Bindegewebe kippe, haben sich für mich Parties auch wieder ihrer langweiligen Aura entblättert. Tolle einfache Welt! Plötzlich ist alles wieder interessant, spannend, sexy. Auch was den Smalltalk angeht, habe ich im Zuge meiner alkoholischen Wiedergeburt eine Lösung gefunden: Wenn ich meinem Gegenüber nicht mehr zuhören kann/will, küsse ich es einfach. Right Said Fred hatten Recht: küssen statt labern. Don’t Talk, Just Kiss. Wir sollten alle viel mehr auf Right Said Fred hören. Man möge ihnen einen „Echo“ verleihen. Ich steh‘ derweil draußen im Foyer und saufe …