Schnauze voll
Keine Ideen, Krach in der Band, ein unfähiger Produzent -— irgendwann platzt da auch dem härtesten Ur-Punk der Kragen. Die STRANGLERS haben eine Majestät beleidigt, sich ein paar aufs Maul gegeben und noch mal von vorn angefangen.
Fast hatten die Stranglers während der Aufnahmen für das, was ihre aktuelle Single „Always The Sun“ werden sollte, das Handtuch geworfen. Bassist Jean Jaques Burnell erklärt: „Ich dachte plötzlich: ‚So läuft das nicht‘, drehte mich zu (Schlagzeuger) Jet Black um und sagte ‚Schau mal, Jet, du mußt irgendwas anderes spielen, inspirier mich zu einem neuen Baß-Part.‘ Jet brüllte: ‚Scheiß drauf! Und scheiß auf den ganzen Kack hier!'“ Was Mr. Black auf die ihm eigene, unnachahmliche Art damit meinte, war die Produktions-Arbeit von Laurie Latham.
Nun ist Latham zufällig einer der gefragtesten Produzenten dieses Planeten. Er machte Paul Youngs NO PARLEZ zum best-verkauften Album in der Geschichte der CBS und hat erst vor kurzem mit den neu-formierten Police gearbeitet. Trotzdem: Die Stranglers, dienstälteste Punks im Business, haben ihn gefeuert. „Ich habe dich beobachtet“, sagte Mr. Black zu Latham. „deine Arbeit taugt nichts.“
Mit den Stranglers diskutiert man nicht, wenn sie einen vor die Tür setzen. Ihre früheren Auftritte waren sogar noch Krawall-verdächtiger als die der Pistols. Noch nie hat jemand einen Kampf gegen einen Strangler gewonnen. Doch 1985 kämpfte die Gruppe zum erstenmal untereinander: persönliche Differenzen, die sich nach zu vielen Jahren gemeinsamen Tourens zugespitzt hatten. Die Vorstellung wie das enden würde, wenn es zu einer physischen Auseinandersetzung zwischen, sagen wir, Jet Black und Burnel kommen würde, jagt einem Schauer über den Rücken. Black ist ein Muskelberg. Und Burnel ist Karate-Lehrer, als Zweitberuf gibt er jetzt zwei Abende pro Woche Kampfsport-Unterricht. Er sagt, Karate habe ihm inneren Frieden gegeben. „Wenn es um mich herum zu Gewalttätigkeiten kommt, läßt mich das völlig kalt. Als ob alles in Zeitlupe ablaufen wurde. Ich kann mich in Ruhe entscheiden, oh ich mich friedlich zurückziehe oder zurückschlage.“
Bei den Stranglers hat er zurückgeschlagen -— mit dem Erfolg, daß die Band ein paar Monate lang nicht miteinander geredet hat. Dann rauften sie sich langsam wieder zusammen und nahmen die Arbeit an DREAMTIME wieder auf, diesmal unter eigener Produktion. Seit ihrem letzten großen Werk. AURAL SCULPTURE, sind jetzt mehr als zwei Jahre vergangen —- die Lücke wurde allerdings kürzlich mit einem Sampler der früheren Stranglers-Plattenfirma EMI gestopft. OFF THE BEATEN TRACK (bei uns nur als Import erhältlich) ist eine Zusammenstellung alter B-Seiten und anderer Obskuritäten. Den Stranglers schmeichelt diese Veröffentlichung. Burnel: „Find ich toll, daß jemand unsere alten B-Seiten für wertvoll hält. Andere Bands haben ‚Greatest Hits‘-Platten, dafür sind bei uns die B-Seiten unsterblich.“