Sex Pistols
Juli 1989: In Miami wird der kalifornische Rap-Star Tone Loc festgenommen, als er es mit einem weiblichen "Wild Thing" allzu ungeniert auf dem Strand treibt. Zur gleichen Zeit in New York: Unter dem Druck der Öffentlichkeit trennt sich die militante Rap-Gruppe Public Enemy von ihrem Mitglied Professor Griff. Der Professor war wegen wiederholter rassistischer Äußerungen untragbar geworden. ME/Sounds-Mitarbeiter Michael Reinboth informierte sich in New York über den Stand der Dinge.
Beide Vorfälle illustrieren die wachsende Polarisierung, die die US-Rapszene in den letzten Monaten kennzeichnet: auf der einen Seite die strikt unpolitische Fraktion, die Sex & Fun propagiert und unverhohlen auf die weißen Pop-Charts schielt – auf der anderen Seite die klassen- und rassenbewußten Rapper von der amerikanischen Ostküste, die mit ihren politischen Manifesten Öl ins soziale Feuer gießen.
Rap hat sich in den USA zu einem gesellschaftlichen Schwelbrand entwickelt, der von den (weißen) Autoritäten mit wachsendem Argwohn beobachtet wird. Eine unvollständige Auflistung von Gewalttätigkeiten, die im Umfeld der HipHop-Szene registriert wurden:
– Am 25.8.87 wird Scott La Rock (Boogie Down Productions) erschossen.
– LL Cool J wird wegen Obszönitäten während seiner Konzerte in Texas und Ohio auf der Bühne verhaftet.
– Ein Mitglied des 3-D-Clans wird in Philadelphia von Dealern erschossen.
– Den Beastie Boys werden Auftritte in verschiedenen Städten wegen Sexismus und möglicher Ausschreitungen untersagt.
– Seine Majestät Slick Rick wagt sich im Juni ’89 zu weit auf fremdes Terrain in Brooklyn und wird prompt von einer Street-Posse verprügelt.
– Def Jam beugt sich der PMRC (Parents Music Resource Center) und ihrem „Child Protection And Obscenity Enforcement Act“ und veröffentlicht die neue LL Cool J-LP in den USA in zensierter, jugendfreier Fassung.
Eben diese PMRC sorgt auch dafür, daß LPs von der 2 Live Crew und N.W.A. (Niggers With Attitudes) aus mehreren Ladenketten wegen „dreckiger Texte“ verbannt werden.
– Die Premiere des Run-DMC-Films „Tougher Than Leather“ findet unter schweren Sicherheitsvorkehrungen statt. Etliche Kinos canceln den Streifen aus Angst vor Ausschreitungen.
– Bei einem Rap-Konzert auf Long Island wird ein Schwarzer aus der Bronx von einer Teenager-Gang angegriffen und zu Tode geprügelt.
– Auch bei der Premiere von „Colours“ heizen Kämpfe verfeindeter Gangs das vergiftete Klima erneut an. Etliche Kinos verweigern die Aufführung.
KRS 1 wird auf einer friedlichen Demonstration in Washington aus der Menge gepickt und festgenommen. Public Enemy trennen sich von ihrem „minister of Information“ Professor Griff, nachdem er zum wiederholten Male antisemitische Äußerungen von sich gab, zuletzt in der Washingtoner Times.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Nachrichten eintreffen, neue Rassenspannungen aufkeimen, sei es der kontroverse neue Spike Lee-Film „Do The Right Thing“ oder die Attacke der Jewish Defense Organization (JDO), die eine mit Ketten und Baseball-Schlägern bewaffnete Truppe zum Büro von Rush Artist Management (die auch Public Enemy managen) schickte, dort aber vergeblich auf die Gruppe wartete. Immerhin schaffte es die JDO, daß ein Großvertrieb und einige Ladenketten Public-Enemy-Platten nicht mehr verkaufen. Das könnte, so munkelt man in der Branche, der einflußreichen Hardcore-Raptruppe das Genick brechen.
Es vergeht aber auch kaum ein Tag, an dem im Rap mal nicht verbal gevögelt, geleckt und gepißt wird – sei es um die Öffentlichkeit zu schockieren und sich so einen Namen zu machen, oder einfach weil parallel zum Ego auch das Ding anschwillt. Gewalt, Ghettos, Drogen, Rassismus, Verbrechen stehen auf der Schattenseite – Love, Peace, Happiness, Sex und nicht zuletzt das große Geld auf der Sonnenseite.
„Glaub mir“, sagt KRS 1, „das Einzige, was Tone Loc wirklich erreicht hat, ist ein bißchen Sex – und das hat doch jeder, oder? Das dicke Geld macht nicht er, das streicht seine Firma, sein Management, ein. Für die meisten Schwarzen bleibt doch nur die Schattenseite der Realität.“
Nachdem inzwischen auch der Letzte erkannt hat, daß Rap die große Chance ist, dem Ghettodasein zu entfliehen, schon als 17jähriger BMW oder Mercedes zu fahren, sich mit Goldketten zu behängen, die eine oder andere „Pussi“ kennenzulernen und in teuren Restaurants zu protzen, deren Speisekarten man zwar nicht lesen, aber mit links bezahlen kann, ist die eigentlich streete Musik der Slums reichlich degeneriert.
„Jeder Musiker, der schnell ein Star werden will, macht von vornherein Pop. Ich bleibe street und werde so vielleicht Pop“, sagt KRS 1 über das Konzept, die Leute auf der Straße und ihr Bewußtsein, ihren Intellekt anzusprechen. „Mein Weg dauert zwar erheblich länger als die Anbiederung beim Mainstream; das dauert nur eine Stunde, um den Vertrag zu unterschreiben. Ich halte lieber das Street-Level, um eine Brücke zu haben, um den Leuten im Ghetto eine Message wie ,Stop The Violence‘ geben zu können. Das kann ich aber nur, wenn ich ihre Musik mache und so ihren Respekt habe. „
Ice-T, Stetsasonic, Jungle Brothers und viele andere sind mit der Musik aus den Ghettos großgeworden, Rapper wie Ice-T kennen das Gangster-Dasein, Drogengeschäfte, rivalisierende Banden nicht aus „Miami Vice“, sondern aus eigener Erfahrung. Ihre Beschäftigung mit sozialen Mißständen trägt langsam dazu bei, daß dieses Thema auch breiteren Bevölkerungsschichten ins Bewußtsein dringt. Vereinzelt konstatieren sogar schon Politiker, daß das von KRS 1 ins Leben gerufene „Stop The Violence Movement“ seine Früchte trägt. Zumindest ist es äußerst hip, sich auf Rap-Platten solchen Slogans anzuschließen, sich intellektuell zu geben, politische Statements zu verbreiten, Anti-Crack- oder pro-islamische Botschaften in die Community zu streuen.
Bewußtsein ist seit dem Auftreten von Gruppen wie Public Enemy und Boogie Down Productions entschiedener auf den Plan getreten und hat inzwischen die kleinen Möchtegern-Gangster und große Sexprotze zum Überdenken ihrer Positionen herausgefordert. „Rap auf dem Street-Level kam schon zu Pop werden“ glaubt KRS 1. „Kommen aber Geld, Goldketten, Autos, Häuser und Mädchen dazu, verliert man schnell den Bezug. Auch wenn Tone Locs Feuer im Ghetto noch brennt – im Mainstream hat er mit so vielen anderen kommerzialisierten Künstlern zu konkurrieren; da ist es hart, zwei Herren zu dienen. Sei es nun LL, Run DMC, Tone Loc, MC Hammer: Wenn sie keinen Respekt mehr von der Basis erhalten, werden sie auch nicht überdauern.“
Mit seiner ersten Boogie Down Production-LP CRIMINAL MINDED beschrieb KRS 1 die explosive Realität der South Bronx, in der er aufgewachsen ist. Sex, Girls, Uzis – das ist Futter für die Schlagzeilen, in Wahrheit geht es um Bandenkriminalität, Prostitution, Drogen und Rassendiskriminierung.
„Eine Gesellschaft, die ,criminal minded‘ ist, kannst du nicht dadurch aufwecken, indem du dich an die Seite eines Tittenmonsters stellst, indem du den Menschen in den Slums Glanz, Glamour und Gloria vor Augen führst.“
BY ALL MEANS NECESSARY, die zweite LP der Boogie Down Productions, allerdings ohne den ermordeten Scott La Rock, stellt die Ursache der Probleme in den Ghettos als ein zwangsläufiges Resultat der amerikanischen Gesellschaft dar.
„Dort ist eigentlich mehr Solidarität und Mitmenschlichkeit vorhanden als sonstwo in der reichen Gesellschaft. Aber die krassen Gegensätze von Geld und Elend erzeugen dieses rassistische Klima. Schließlich sind mindestens zwei Drittel der Arbeitslosen Schwarze!
Public Enemy riskierten große Sprüche und zitierten militante Führer wie Farrakhan. Die Medien sagen natürlich prompt, das sei ein Rassist, er hasse weiße Leute. So werden unnötige Feindbilder aufgebaut. „
Professor Griff aber machte es da nicht besser. Und auch nicht die Boulevard-Zeitungen, die unter der Headline „Doing The Wild Thing“ über ein Sexualverbrechen im Central Park berichteten, nach dem die Teenager-Gang angeblich noch im Knast lauthals den Hit von Tone Loc gröhlte.
Tone Loc selbst, die jüngste Inkarnation des Rap-Machos, kann die Aufregung nicht verstehen: „Ich finde nichts sexistisch daran, ein Video mit schönen Girls zu machen. Ich liebe Frauen, ich habe Spaß mit ihnen. Ohne Frauen wäre ich nichts, gar nichts! Sexistisch ist, was sich die Leute zusammenreimen. „
Daß sich Sex besser als Politik verkaufen läßt, wird auch Tone Loc nicht bestreiten wollen. „Wild Thing“ explodierte so heftig (über drei Millionen Singles), daß sogar der Rekord des Superstar-Opus „We Are The World“ übertroffen wurde. Wenn Tone Loc selbst auch nicht alle Dollars sieht: Ein kleines Wohnprojekt für seine alten Freunde aus dem Ghetto will er am Rande von Los Angeles schon eingerichtet haben.
Tone Locs Popularität zum Trotz hat die Polit-Fraktion der Rapper dennoch die stärkste Lobby. Ob es aber gelingt, Ausgleich und Stabilität ins auseinanderdriftende Rap-Lager zu bringen, bleibt fraglich. KRS 1 meint jedenfalls: „Nächstes Jahr haben wir dann schon wieder eine völlig neue Situation.“