Silberstreif am Horizont
Silverjews-Kopf David Berman sieht klar. Mit dem Auge eines Toten.
David Berman, amerikanischer Songschreiber, bekennender Jude, begnadeter Lyriker, Zeichner und Autor von Gedichten und Kurzgeschichten,geht gebückt, setzt sich auf eine Holzbank, stiert auf die Tischplatte und schaut nur ganz kurz auf, um eine Frage zu stellen: „Soll ich kurze oder lange Antworten geben? Denn das ist wirklich ein Problem für mich. Ich bin ein großer Redner, wenn mich niemand stoppt.“ So sei es: Geschätzte neuneinhalb Minuten pro Replik und viele Sätze klingen wie Teile eines Manifests, an dem Berman immer hellsichtiger arbeitet, seit er nicht mehr trinkt, keine harten Drogen mehr nimmt und nur noch Marihuana raucht. Für jemanden, der sich noch 2003 mit einem Cocktail aus Crack, dem Antidepressivum Xanax und Alkohol das Leben nehmen wollte und nach einer komplizierten Kornea-Transplantation im jahr2OO7 mit dem rechten Auge eines Toten sieht, hat der Künstler wacker durchgehalten. Seine Anmerkungen zum Untergang des Abendlandes haben noch immer die Schärfe Thomas Bernhard’scher Schimpftiraden:“Alle Bands, die ich irgendwann einmal mochte, waren ab einem bestimmten Punkt nicht mehr in der Lage, auch nur einen guten Song zu schreiben. Und ich wundere mich darüber, wie wenig Leutesich darüber wundern. Die Menschen investieren so viel Energie darin, zu leugnen, dass Neil Young heute langweilig oder dass Pearl Jam generell wertlos sind. Man tut ja sogar so, als seien die Rolling Stones oder Bruce Springsteen immer noch gut. Und selbst die jungen Bands geraten heutzutage so schnell in die Promo-und Corporate-Rock-Maschinerie, dass ihnen wohl dasselbe Schicksal droht. Ich nahm das immer als Bedrohung wahr und dachte mir Als Musiker ist deine Karriere zu kurz. Du musst etwas Bleibenderes schaffen.“
So veröffentlichte der Melancholiker bereits 1999 den wundervollen, intelligenten, schrulligen Gedichtband „Actual Air“, bei dem schmerzliche Süße und leises Leiden am Dasein in eins fielen. Warum eigentlich kann sich dieser Mann, der ja bereits vor Ewigkeiten m it Songs wie „How To Rent A Room“ (von the natural bridge, 1996) und „Time Will Break The World“ (bright flight, 2001) alles gesagt hatte, plötzlich auf eine Bühne stellen? In 19 Jahren Silver Jews-Geschichte gab es bloß um die 60 Auftritte, Deutschland wurde 2008 gar zum allerersten Mal bereist. „Weißt du, woran das liegt? Es liegt daran, dass ein Konzert keine Kunst ist, sondern Entertainment. Dafür bin ich einfach nicht gemacht. Das dachte ich so lange, bis ich 2006die ersten richtigen Silver Jews-Konzerte gab und es mir aus unerklärlichen Gründen plötzlich Spaß machte. Mit Bühnenangst oder Lampenfieber hatte das nie etwas zu tun.“ Folgender Nachtrag wird den Leser freuen: Das neue Album LOOKOUT MOUNTAIN, LOOKOUT SEA ist die hoffnungsvollste Silver Jews-Platte bisher.
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