Slut, München, Atomic Café
Uneitler Bombast mit art edge: Demnächst auch für die Massen?
Etwas ist anders heute, und es ist nicht allein die (leider wirklich angenehm) gute Luft der neuen Rauchfreiheit. Der Glitzerhintergrund, das Markenzeichen der Atomic-Bühne, ist verhängt mit einer schnöden weißen Leinwand. Bis in die hinterste Ecke ist der Club an diesem Montagabend gefüllt. Slut sind da, ein paar Tage, bevor ihr neues Album STILL NO.I in die Läden kommt. „Obwohl wir aus Ingolstadt kommen, ist München für uns immer so was wie ein Heimspiel“, sagt Sänger Chris Neuburger sympathisch linkisch zur Begrüßung, die Münchner sehen das offenbar genauso, verströmen Wiedersehensfreude aus allen Poren.
Mit STILL NO.1,dem sechsten Album in zwölf Jahren, haben sich Slut viel vorgenommen: Alles ist ein bisschen größer, breiter, gewagter; mehr Streicher, mehr Gitarrenwände, mehr melodisches Pathos, mehr Energie. Lässt sich das auf die Clubbühne transportieren? Es lässt. Der uneitle Bombast der neuen Slut-Songs sendet sich ohne Umwege ins euphorisierte Publikum. Interessanterweise sind Slut offenbar eine Jungs-Band. Geschätzte zwei Drittel der Zuhörerschaft sind männlich, und die Jungs sind es, die ihre Begeisterung am offensten ausdrücken, die hüpfen, drängeln und, ja: klatschen. Bei neuen Songs wie „If I had A Heart“ und „Wednesday“ und Klassikern wie dem unzerstörbaren „Easy To Love“ wird tatsächlich über strecken mitgeklatscht. Das hat das Atomic wohl länger nicht gesehen, und diese recht un-indie Publikumsreaktion weist den Weg, den es in naher Zukunft nehmen könnte mit Slut: auf die ganz große Bühne.
Da geht was. Chris Neuburger singt wie der Teufel, schont kein Stimmband, wechselt zwischendurch von der Gitarre ans Keyboard, die ganze Band agiert mit ähnlicher Passion und Körpereinsatz. Die Klangwand, die sich auftürmt, ist fundiert in straighter Indie/ Hardcore-Kernigkeit, aufgemauert mit massenumarmendem Großpop a la Coldplay, Snow Patrol, durchzogen vom Mörtel einer suchenden Kunstsinnigkeit und Leidenschaft für Details und Sounds a la Elbow. Radiohead, mit der die Band die lustvolle Maßlosigkeit kontert und die auch die Präsentation ausmacht: Nackte Glühbirnen an der Bühnendecke flackern psychotisch wie bei David Lynch, unanheimelnde Videos des befreundeten Weilheimer Künstlers Anton Kaun zucken (Spinnenbeinel)über die Leinwand, einmal schießt zum Finale die Glitzerkonfettikanone eine niedlich kleine Salve ab. Ein selbstironischer Gag? Oder muss demnächst die große Wumme aufgefahren werden?
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