Stiff Little Fingers – Wiesbaden, Wartburg
Können sich die Stiff Little Fingers den ungestümen ‚Drive‘, die Raserei, die unbändige Energie ihrer Anfangstage erhalten? Ist die radikale Haltung von INFLAMMABLE MATERIAL heute überhaupt noch reproduzierbar? INFLAMMABLE MATERIAL schlug bei mir im vergangenen Jahr ein wie weiland die 10 Gebote, war für mich vielleicht der bedeutendste Tonträger seit NEVER MIND THE BOLLOCKS. M., das war ein Ruf zu den Waffen, in Akustik umgesetzte Anarchie, schlicht Klassenkampf. Das Resultat einer von blinden Fanatisten in den Polizeistaat geschossenen Gesellschaft, das Produkt einer im Ausnahmezustand aufgewachsenen Generation. Die erbitterte Abrechnung mit ihrer Heimat, dem ‚State of Emergency‘ wie es programmatisch in einem SLF-Song hieß, mit dem nie endenden Bürgerkriegswahnsinn in Nordirland. „They never asked us if we want the war who do they think they’re talking for …“ Stiff Little Fingers leben nicht mehr in Belfast, aber der Krieg geht weiter. Findet allabendlich auf der Bühne statt. „Nobodys Heroes“ entstand im ‚Exil‘, hat mit den Alltagsfrustrationen der Kids in Belfast nicht mehr viel gemein. Milieu prägt. Ihr Live-Set enthält Titel beider Platten, die Reihenfolge ist überall dieselbe. In Wiesbaden, in Herford, in Köln, bei „Hanx“.
Die Stücke klingen vollkommen gleich, jeder Break, jedes Intro, Phrasierung und Intonation von Bums‘ herausgekotzten Texten, selbst die Ansagen sind mit denen auf dem Rainbow-Mitschnitt identisch. Ein unterschwellig gärendes Unmutsgefühl überkommt mich unwillkürlich, wird augenblicklich verdrängt als Burns voll aus sich herausgeht, über die Bühne tobt… und meldet sich postwendend zurück, wenn der Sänger seine athletischen Übungen kurz darauf perfekt wiederholt. Wo hört die Glaubwürdigkeit auf, wo fangen Routine und Showattitüde an? Stiff Little Fingers haben eine Position erreicht, wie etwa The Clash, von der aus es schwerfällt, die einst propagandierten Werte überzeugend aufrechtzuerhalten. Für die Generalmobilmachung gegen die bürgerlichen Zwänge des Establishments zu votieren, gelingt in der Regel nur den unmittelbar Betroffenen. SLF sind über dieses Stadium längst hinaus. Der Tenor ist gedämpfter, dennoch unverändert kompromißlos. Und trotz einer professionellen, präzise getimten Show haben „Suspect Device“, „Wasted Live“ und „Alternative Ulster“ nichts von ihrer packenden Intensität eingebüßt.
Aber die Ausgangsposition der Band ist heute eigentlich nicht mehr relevant. SLF stehen am Wendepunkt ihrer Karriere.