Interview

Sveamaus im Fokus: Die Verhältnisse nageln


Meme-Phänomen Sveamaus: ein pointierter Mix aus Zeitgeist und Kunst. Bald kann sie schreiben, wo und was sie will.

Vom Phantom zum Phänomen: Unzählige Social-Media-Accounts ernten kurzfristigen Hype. Sveamaus aber ist real. Ein pointierter Mix aus Zeitgeist und Kunst machte die Wahlkölnerin zum größten digitalen Konsens seit der Twitter-Slogan-Maschine El Hotzo. An Sveamaus, die eigentlich Svea Mausolf heißt, kommt man dieses Jahr einfach nicht vorbei, selbst wenn ihr Königreich „nur“ im Internet fußt. Es ist bloß noch eine Frage der Zeit, bis sich die großen Buchverlage, Comedy-Redaktionen und das Feuilleton noch mal erklären lassen müssen, was eigentlich Memes sind, um dann bei jener ominösen Sveamaus vorzusprechen. Eigentlich ist es jetzt bereits so weit, denn die kritische Reichweite hat die in Frankfurt an der Oder geborene Künstlerin schon hinter sich gelassen. Auf Instagram steht ihre Followerschaft im sechsstelligen Bereich, exponentielles Wachstum ist ihr Ding.

Vielschichtige Verkürzung

Zuletzt ging es tatsächlich wahnsinnig schnell, vor einem Jahr war sie noch ein spaßiges Profil unter vielen, heute ein etabliertes Popspektakel im Netz. Doch aus dem Nichts kam das gewiss nicht, Sveamaus veröffentlicht seit jener Zeit fast täglich zehn Fotos, versehen mit provokativen Zeilen, denen es gelingt, in wenigen Worten die Verfasstheit des Kollektivs auf den Punkt zu bringen. Alles dreht sich schneller: Um deutsche Verhältnisse zu nageln, bedarf es 2023 eben nicht mehr Fassbinder und dem neuen deutschen Autorenfilm, sondern sogenannten Memes, also das Massenmedium der postfaktischen Welt. Bei Sveamaus heben sich diese neben der Ansprache auch noch durch eine unverwechselbare Schrift von den anderen Akteur:innen ab – und sie verbreiten sich täglich zigtausendfach, Schnellballsystem. Ob es um schwelende Generationenkonflikte geht, um toxische Männlichkeit oder gerade auch um lesbische Sichtbarkeit – mit ihrer minimalistischen wie vielschichtigen Verkürzung trifft Sveamaus einen Nerv.

Instagram Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Instagram
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

„Es sind eher Situationen und Begebenheiten, über die ich mich lustig mache, nicht über die Menschen selbst“

Selbst das Thema Musik spart sie nicht aus: Helene Fischer, GZUZ, Sarah Connor, Rammstein … unzählige Pop-Acts werden von Sveamaus in Halbsätzen entlarvt oder gleich zerpflückt. Doch bei all der Säure, die Sveamaus so offensiv anrührt, spürt man immer wieder den humanistischen Boden, auf dem das alles geschieht. Auch für die in ihren Bildern verwendeten Figuren hegt sie Sympathien: „Es sind eher Situationen und Begebenheiten, über die ich mich lustig mache, nicht über die Menschen selbst“, sagt die Dreißjährige im Gespräch und erinnert damit an die einstige HipHop-Maxime „Don’t hate the player, hate the game“.

Wobei zu dem – mindestens problematischen – „Game“ natürlich auch die Plattform Instagram zählt, von der ihr eigener Ruhm seinen Ausgang nahm. Sveamaus ist dort selbst immer wieder in Schwierigkeiten, aufgrund von Meldungen durch rechte Accounts oder der Verwendung freizügiger Sprache. Alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Von wegen. „Ich will halt ‚Muschi‘ schreiben können, ohne dafür gleich gesperrt werden zu können“, konstatiert Sveamaus. Nun, den Konzern Meta, der Instagram und Facebook betreibt, wird sie nicht überwinden können, aber mit ihrer Kunst ist sie ihm längst entwachsen. Der jetzt erscheinende Abreißkalender „Ja Chef bin dran“ ist erst der Anfang, denn Sveamaus kann bald schreiben, wo und was sie will – und darauf darf man sich jetzt schon mal freuen.

El Hotzo im Interview: „Ich kann mir Lustigeres als Dieter Nuhr vorstellen“