The National
Bei ihrem Auftritt in der Londoner Brixton Academy erweisen sich die Amerikaner als abgeklärte Profis – und als grandiose Musiker.
Platz zehn in den deutschen Albumcharts, drei ausverkaufte Konzerte in einer der größten Hallen Londons (knapp 5.000 Zuschauer) – rein zahlentechnisch sind The National im Mainstream angekommen. Nach vier Platten, die zwar von einer Handvoll Verehrern innig geliebt, aber von wenigen gekauft wurden, war High Violet schon so eine Art Wegorientierung: bleibt man Indie-Favorit oder geht man den Weg, den Arcade Fire gerade beschreiten – auf in die Arenen?
Heute Abend braucht die Band auf jeden Fall ein bisschen, um warmzulaufen. Der Opener „Runaway“ ist zwar klagend und atmosphärisch, aber auch irgendwie statisch und zaghaft. Direkt danach kommt Richard Parry von Arcade Fire auf die Bühne, aber auch er steuert zunächst nur ein paar ausschmückende Gitarreneffekte zu „Anybody’s Ghost“ bei, während auf der Leinwand im Hintergrund die Wolken dahinziehen. The National sind dann am besten und überzeugendsten, wenn sich die stotternden, schwermütigen Gitarrenakkorde von Aaron Dessner mit Bryan Devendorfs zuckenden Snare-Schlägen überschneiden, und Matt Berninger in seinem unverkennbaren Bariton Zeilen ausspuckt wie „You know I dreamed about you for 29 years/Before I saw you“ – „Slow Show“ ist der erste dieser Momente, und zum Glück nicht der einzige. „Bloodbuzz Ohio“, einer der besten Songs des Jahres, wird überraschend früh gespielt, verliert aber dadurch nichts von seiner unfassbaren emotionalen Schlagkraft. Unsere Nachbarin wankt während fast des gesamten Konzertes mit geschlossenen Augen hin her und verpasst so Berningers immer noch faszinierendes Bühnengehabe. Wenn er nicht gerade das Mikrofon mit beiden Händen umklammert, stakst er wie ein etwas peinlicher betrunkener Onkel umher und klatscht mit den Händen oder schreit den Gitarrenverstärker an. Sein Kollege Aaron guckt immer mal wieder seitwärts zu ihm hin, nach dem Motto: „Jetzt reiß‘ dich halt mal zusammen!“ Doch Berningers Hampeleien wirken, wenn nicht studiert, dann zumindest kontrolliert – auch der Rest der Band besticht durch stoische Effektivität.
Die Balladen „Sorrow“ und „Lucky You“ werden zwar nur von ihren Texten vor der Banalität gerettet, wie die Band jedoch immer wieder Crescendo auf Crescendo stapelt, wie Berninger bis zur Bar am Halleneingang crowdsurft – das ist grandios. Aber ein Gimmick wie das komplett ohne Verstärker und Mikrofone (dafür mit kräftiger gesanglicher Unterstützung vom Publikum) dargebotene „Vanderlyle Crybaby Geeks“ wird in den Fußballstadien leider nicht funktionieren.