The Specials


Für die britische Rockszene war 1979 das turbulenteste Jahr seit mehr als einem Jahrzehnt; selbst 1977,das Jahr des Punk-Durchbruchs, kann da nicht mithalten. Eine Unmenge von New Wave-Truppen machte sich in den Hitparaden breit. Inmitten dieses kreativen Sturms, indem Ungewöhnliches zur Regel wurde, gab es gleichwohl eine Erscheinung, mit der absolut niemand gerechnet hatte: die Specials. Ihr Debüt-Album erreichte kürzlich auf Anhieb Platz vier der Charts, obwohl es mit einem Song beginnt, für den vor zwölf Monaten keiner auch nur einen Pfifferling gegeben hätte: "A Message To You Rudy", eine brillante Mischung aus Ska und New Wave, angesiedelt jenseits aller bislang in der Rockmusik gängigen Stilarten.

Im ZDF-Studio-München wird eine weitere Folge von „Rockpop“ geprobt. Auf der Bühne stehen sieben Herren – fünf Weiße, zwei Schwarze – und warten gelangweilt, aber geduldig auf ihre Ansage. Sie tragen Kahlschlag-Frisuren, Zweiton-Knöpfkragenhemden, schmale Krawatten, makellos geputzte Dr.-Marten-Stiefel und Mohair-Anzüge, mit deren Bügelfalten man ohne weiteres ein Stück zähen Rindfleisches zweiteilen könnte. Die Kopfbekleidung dieser Herren besteht aus Lederhüten fast ohne Krempe und nicht ungefährlich aussehenden, fast den ganzen Schädel umschlingenden Sonnenbrillen. Die Ansage erfolgt einer der Herren brüllt „AI Capone guns don’t argue!!!!“ ins Mikro, und die Hölle ist los. Bei obengenannten Herren handelt es sich um die Specials, und ihren Namen tragen sie zu Recht. In England sind sie die Senkrechtstarter des Jahres, die Lieblinge sowohl der Presse wie auch eines ständig wachsenden Publikums. Während vergleichbare Instant-Aufsteiger, wie etwa die Pretenders, zwei Wochen lang von sämtlichen Medien belobhudelt wurden und dann ein mehr oder weniger jähes Ende fanden, ernten die Specials auf der anderen Seite des Ärmelkanals seit einem halben Jahr ununterbrochen hysterisches Lob, und das aus gutem Grund.

An dieser Stelle ein kurzer musikhistorischer Rückblick: Anfang der sechziger Jahre begannen jamaikanische Musiker den Rhythm & Blues, den Doo-Wop und den frühen Soul, den die Radiosender in New Orleans und Miami ausstrahlten, aufzugreifen und mit einheimischen Musikarten wie etwa dem Calypso sowie anglikanischen Kirchenliedern zu vermischen. Sie veränderten bestimmte Akzentuierungen und begannen auf eigene Faust, den Backbeat, die Betonung auf 2 und 4, zu übertreiben. Der Ska war geboren.

Wenn man im England der sechziger Jahre als Durchblicker gelten wollte, sei es als Mod in der Mitte oder als Skinhead zu Ende des Jahrzehnts, mußte man in seiner Plattensammlung die neuesten Scheiben von Ska-Interpreten wie Prince Buster oder den Claredonians haben.

Jetzt zurück zu den Specials. Sie nehmen den Ska als Ausgangspunkt einer eigenen, durchaus originären und unbedingt tanzbaren Musik, in der andere Stilelemente wie Tamla-Motown – Akkordfolgen Stax-Gitarrenriffs und Funk-Bässe, Punk-Hektik und New Wave-Manierismen zu großem Vorteil eingebaut sind. Die Specials spielen einige Ska-Klassiker nach, die meisten Stücke jedoch sind Eigenbau, und zudem allesamt Ohrwürmer.

Zum Werdegang der Gruppe: sie formierte sich 1977 in Coventry um den Keyboards-Spieler Jerry „General Dankey“ Dammers, den Bassisten Horace „Sir Horace Gentleman“ Panter und den Rhythmusgitarristen Lynval Golding. 1978 stießen der Gitarrist Roddy „Radiation“ Byers und die Sänger Terry Hall und Neville Staples hinzu, ein Jahr später der Schlagzeuger John „Prince Rimshot“ Bradbury.

Im Sommer 1978 bestritten die Specials das Vorprogramm einer Clash-Tournee und wurden anschließend von deren damaligem Manager Bernie Rhodes unter die Fittiche genommen. „Es hat nicht hingehauen,“ meint Sir Horace Gentleman, der Sprecher der Specials, während er sich in der Garderobe des Fernsehstudios zusammen mit dem Rest der Gruppe in die richtigen Klamotten für die Aufzeichnung wirft. „Bernie hat gerne an uns Kritik geübt, aber keine konstruktive. Er hat die Gruppe sich selbst überlassen, uns sogar nahegelegt, nicht aufzutreten. Geld haben wir sowieso keins verdient, aber wir wollten wenigstens ein paar Gigs machen, um uns daran zu erinnern, daß wir noch eine Gruppe waren. Er jedoch war dagegen. Natürlich hatten wir dann die Schnauze voll.“ Wollte sich Rhodes auf die Clash konzentrieren, oder wollte er, wie es Malcolm McLaren mit den Sex Pistols getan hatte, seine Schützlinge rar und dadurch interessant machen? „Ich weiß nicht… Meiner Meinung nach hat Rhodes eher ungewöhnliche, interessante Ideen als einen guten Geschäftssinn. Über seine Konzepte kann man durchaus reden, aber in unserem Fall haben sie einfach nicht hingehauen. Am Schluß war es dann so, daß wir in London alle im Übungsraum, einem alten Bahnhofsgebäude, auf dem Fußboden geschlafen haben. Dann haben wir gesagt: So, jetzt reicht’s, früher haben wir uns um uns selber kümmern müssen, das können wir auch jetzt noch. Und damit hatten wir recht.“

Nach ihrer Trennung von Rhodes stellten die Specials ihr eigenes Label auf die Beine: 2-Tone, benannt nach den changierenden Klamotten, die in den sechziger Jahren bei den Mods und Skinheads Mode waren. Die Single „Gangsters“ erschien zuerst auf diesem Label, und die Startauflage von 5000 Exemplaren war sehr bald vergriffen. Wie funktionierte damals der Vertrieb? Sir Horace Gentleman wischt sich Rasierschaum-Reste vom Gesicht, knöpft sein gestreiftes Ben Sherman-Hemd zu und läßt die Hosenträger drüber zuschnappen. „Der lief über die Firma Rough Trade. Wir sind mit einer Kassette hingegangen, haben gesagt, was haltet ihr davon, und sie meinten, ja, wir nehmen 2500 Stück. Sonst nehmen sie nur 250. Jedenfalls waren unsere 2500 bald weg, ebenso die übrigen 2500, die wir noch gepresst und selber vertrieben haben. „Gangsters“ wurde von allen bisherigen auf einem kleinen Label erschienenen Singles die mit der höchsten Plazierung (sie drang bis in die Top Ten vor), und das freut mich natürlich auch für Rough Trade, der Gedanke, daß wir dem Label dadurch ermöglichen, sich anderer unbekannter Gruppen anzunehmen.“ Inzwischen sind die Specials bei Chrysalis unter Vertrag, haben aber ihr eigenes Label beibehalten.

Oberflächlich gesehen ist dieser Schub neuer Bands ein Bestandteil des Mod-Revivals: ihre Musik basiert offensichtlich auf gewissen Stilen der sechziger Jahre, ebenso ihre Kleidung. Trotzdem wehrt sich Horace: „Die Specials würden die Art von Musik, die sie jetzt machen, sowieso spielen. Es ist eigenartig in England: Im Norden sind die Mods nie ausgestorben. In London dagegen gibt es diese modische Mod-Revival-Sache, wo sie alle meinen, daß Pete Townshend 196S die Mods erfunden hat, was Unsinn ist, weil die Leute schon 1962 schnieke Mohair-Anzüge getragen und zu Bluebeat- und frühen Tamla-Motown-Sachen getanzt haben.“

Das Publikum der Specials besteht zum großen Teil aus Skinheads, jenen fast kahlgeschorenen (weißen und schwarzen) Jugendlichen, die Ende der sechziger Jahre beim Verdreschen von Hippies und asiatischen Einwanderern überaus unangenehm auffielen und in letzter Zeit ein Comeback feiern. Gewisse faschistoide Züge sind der zweiten Skinhead-Generation leider auch nicht abzusprechen (die rechtsradikale „National Front“ rekrutiert viele ihrer Mitglieder aus ihren Reihen), allerdings muß man sich davor hüten, eine Modeerscheinung, wie es die jetzigen Skinheads im Grunde sind, als zum gemeingefährlichen Gesindel abzustempeln. Wie ist es bei den Specials? Benutzen die Skinheads ihre Auftritte wegen des Aussehens und der Musik der Gruppe ebenso als Aufruf, Krawall zu machen, wie es bis vor kurzem bei Sham 69 der Fall war? „Bis jetzt ist es gut gelaufen“, sagt Horace. „Das letzte Mal, als wir im Nashville gespielt haben, war es sogar so, daß einige Skinheads vor dem Konzert zu uns kamen und gesagt haben: ‚Schaut her, jetzt, wo es mit Sham aus ist, haben wir außer euch im Grunde keine Gruppe mehr, wo wir hingehen und uns amüsieren können, und wir wollen unbedingt, daß dieser Gig cool abläuft.‘ Und die sechs Skinheads haben sich an den Eingang gestellt und jedem Besucher gesagt: Hör zu, heute abend machst du keinen Ärger. Hier wird nicht geschlägert, hier wird getanzt. Okay?'“

Und obwohl die Musik der Specials durchaus aggressiv sein kann, ist sie das auf eine andere Art als die von Sham 69 zum Beispiel. Die Aggressivität der Specials zwingt einen zum Tangen, nicht zum Randalieren. Das liegt nicht nur an der Musik selbst, sondern auch an den Texten der Specials-Songs, die fast alle von Jerry Dammers stammen. In Jerrys Songs wird die lobenswerte Tradition der amerikanischen Texter fortgeführt, ein brisantes Thema nicht mit plumpen Klischees zu veranschaulichen, sondern mittels eines fast Shakespeare’schen Witzes an den Mann zu bringen. Horace zu Jerrys Texten: „Leider geht der Popmusik in letzter Zeit der Humor ab. Es ist natürlich klar, daß es Gewalttätigkeit gibt, wenn da oben auf der Bühne einer steht und plärrt: „Bäääähhh, ich kassier‘ Arbeitslosenunterstützung und alles ist Scheiße!“ Wenn du dasselbe Thema aber als Witz oder Anekdote verkleidest, bringst du es genauso an den Mann, aber eben nicht auf eine so aggressive Art und Weise. Ich hab’s lieber, wenn man mich überzeugt, als wenn man mir sagt, was ich zu tun habe.“

Bleibt die Frage, ob die Musik der Specials den selben Anklang in Deutschland finden kann, den sie in England hat. Im Grunde sind die Voraussetzungen dazu ideal: Die Disco-Welle flaut gottseidank ab, immer mehr Diskotheken legen sich ein Arsenal von Reggae-Scheiben zu (und zwar nicht nur brave, auf den weißen Markt abgestimmte; in München gibt es eine Renommier-Diskothek, in der man an bestimmten Abenden fast nur obskure DubPressungen hören kann), und ab und zu erklingt auch neuere weiße Musik, sei es auch nur Police oder Fischer Z.

Wer zu den Specials nicht tanzen kann, hat Betonfüße. Wen ihre Songs nicht zum Mitsummen animieren, ist taub, und wem ihre Texte nicht ein Lächeln und ein Nicken entlocken, kann entweder kein Englisch oder ist ein Misanthrop.

Mir gehen Zeilen aus Jerry Dammers‘ ,Nite Klub’durch den Sinn: „I won’t dance/ In a club like this/All the girls are sluts/ And the beer tastes just like piss“, und ich denke mir, daß jemand, der sowas singt, nicht auf den Kopf gefallen ist, und daß jemand, der nicht auf den Kopf gefallen ist, früher oder später ganz groß rauskommen muß. Sogar in Deutschland.