Thrill Jockey 10th AnniversaryTour


It's not only postrock, but I like it: Thrill Jockey feiert seinen zehnten Label-Geburtstag.

Aus gegebenem Anlass trägt man in Berlin-Schöneberg wieder Hornbrille zum wissenden Lächeln. Und beim Tiefflug durch die musikalischen Referenzsysteme gestattet man dem Seitenscheitel sogar einen expressiven Schwung in die Denkerstirn. Seltsam deplatziert wirkt das in der auf Alt-Ägypten getrimmten Großraum-Disco Metropol, die für einen Abend Gemeinsamkeit heuchelt mit ihrem verlebt aussehenden kleinen Nachbarn, dem Loft, und als Spielplatz der Pop-Avantgarde herhält. Schließlich gilt es, den zehnten Geburtstag des Chicagoer Labels Thrill Jockey zu feiern. 1992 gründete Bettina Richards die Firma in New York als wütende Reaktion auf die Einfalt des Corporate Rock Business, dem sie und ihre Künstler mit radikalen Neupositionierungen und spannenden Experimenten begegneten. Einen Querschnitt durch die Arbeit von Thrill Jockey liefert diese Geburtstagstournee, die in allabendlich wechselnder Besetzung durch halb Europa zieht. In Berlin kann man sich zur Einstimmung zunächst durch die Soundwellen der Austro-Dubber Radian treiben lassen. Freakwater lädt dann in eine schummrige Trucker-Kneipe, deren latentgemütliche Atmosphäre von den schrägen Keyboardsounds ihres Gastmusikers Howe Gelb zerrissen wird. Auch im nachfolgenden Solo-Auftritt gibt Gelb den kauzigen Bilderstürmer, der den Abend vorallzu großer Harmonieseligkeit bewahren will. Die Eruption des Abends aber löst Bobby Conn aus. Mit Gitarre, Pathos, nackter Brust und Tiefkühl-Funk aus der Konserve wirkt Conn wie das Ergebnis einer zweifelhaften Mischung aus Pete Townshend, Freddie Mercury, Prince und Johnny Rotten, „I’m proud to be a whore“, schreit er und überlässt das Publikum einem Gitarrensolo vom Band. Danach gelingt es nur noch Trans Am mit ihrem technoiden Indiedancepunk, die Hormonausschüttung auf vergleichbar hohem Niveau zu halten, während die Konzerte von The Sea & Cake sowie Tortoise dem gepflegt intellektuellen, aber überraschungsarmen Musizieren gewidmet sind. Spätestens in dem Moment aber, in dem man Tortoise als eine ganz normale Band wahrnimmt und nicht mehr zuvorderst als Postrock-Revolutionäre, bemerkt man, wie sehr sich das Pop-Universum in der letzten Dekade doch ausgedehnt und verändert hat.

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