Toots – Bibelstunde für Fortgeschrittene
Der typische Rastaman mit Dreadlocks ist er nicht Trotzdem hat auch Toots das Wort Gottes stets auf den Lippen. Ulli Güldner sperrte die Ohren auf und blätterte nachher in der Bibel...
Schauplatz: Die Kantine des Island Studios in der Basinq Street, nahe Londons kilometerlanger Trödlerund Tand-Allee‘ besser als Portobello Road bekannt. Die Szenene für den schwarzen, elegant gestylten Pastor mutet befremdlich an. Am Küchentisch konferieren Toots und seine Jünger und ein neugieriger Pressevertreter. Das Maytals-Oberhaupt predigt lautstark theologische Dogmen, zitiert Ezechiel und Jeremia, singt inbrünstig Psalme und murmelt mit gesenktem Haupt sein Abendgebet: … for only our Lord knows the way of the rightous …
Noch nickt der Pastor zustimmend, aber schon die nächsten Worte treiben ihm die Zornesröte ins Gesicht. „Gott“, mahnt Toots nun schon zum wiederholten Male, „braucht ihr weder im Himmel noch auf der Erde zu suchen, er lebt in uns, in all denen, die seine Worte richtig zu interpretieren wissen und ein rechtschaffendes Leben führen!“
„Mr. Hibbert“, schallt es barsch aus dem Hintergrund, „können Sie uns vielleicht die Quelle ihrer atheistischen Thesen verraten ?“
Toots blickt erstaunt zu dem aufgebrachten Geistlichen herüber. „Alles was ich sage, ist in der Heiligen Schrift verankert „So so, in der Heiligen Schrift“, kontert der Pastor gereizt. „Wenn sie einen solchen Unsinn verbreiten, kann es mit ihren theologischen Kenntnissen ja nicht weit her sein. Fangen wir doch gleich einmal bei den Zehn Geboten der Bibel an!“
„Du sollst nicht morden“ versetzt Toots gehorsam. „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht mit weißen Frauen ins Bett gehen “ Waas? Da trachten wir seit Jahrhunderten das Stigma des Rassenhasses auszumerzen und Toots Hibbert predigt unverhohlen Dualismus“, wettert der Theologe.
Toots bricht in schallendes Gelächter aus. „Rassismus? No Man, ich liebe meinen weißen Bruder wie mich selbst“, lächelt er glückselig – und als ob er seinen Worten sogleich Taten folgen lassen müßte, drückt er mich plötzlich an sich und fährt fort: „Es existieren keine Unterschiede zwischen Rassen und Nationen. Ich liebe und akzeptiere jeden, der gottesfürchtig, fromm, ehrlich und aufrichtig ist. Ich glaube an die friedliche Koexistenz, nicht an Rassenvermischung, die im Laufe der Geschichte schon immer zusatzliche Konflikte erzeugt hat… Konsultiere die Heilige Schrift“, rät er dem völlig irritierten Geistlichen, während ich nach Luft japsend bemüht bin, mich aus seiner Umklammerung zu lösen.
Als wir dann später endlich unter vier Augen zusammensitzen, ist von seinem lautstarken, demonstrativen Gehabe kaum noch etwas übriggeblieben. Toots verfällt in eine fast schon meditative Ruhe, er philosophiert, unterbricht seine Monologe immer wieder mit kurzen Gebeten – und ich spüre, wie er sich an diesen Andachtsmomenten aufrichtet.
„Nicht viele Menschen wissen, was es bedeutet zu beten. Der Dialog mit dem Vater verkommt zur lästigen Pflichterfüllung. Neben dem Vaterunser wird nur selbstbetrügerisch gebeichtet und ausgesprochen, was man als vertretbar und ungefährlich empfindet Gott gegenüber sind das perfide Spiegelfechtereien“, erbost sich Toots. Er selbst betet, wie er sagt, mehrmals täglich, opfert unendlich viel Zeit, um alles, was ihn bewegt und bedrückt, an Gott zu vermitteln. Physische und spirituelle Kraft schöpft er aus der Selbstbesinnung, ja er führt alle ideellen und materiellen Erfolge seines Lebens auf seine Eintracht mit dem Schöpfer zurück.
Ich habe solche frommen und gutgemeinten Säteze bestimmt schon hundert Mal vorher gehört, aber seltsamerweise gewinnt dieses lapidare Credo aus Toots Mund eine bergeversetzende, geradezu missionarische Überzeugungskraft. Wenn er, tief in Gedanken versunken, jedem weltlichen Unruheherd mit der Bibel und seinem grenzenlosem Pazifismus begegnet, dann fühlt man sich mitten in einen Landgottesdienst versetzt, dann scheint sich die winzige Kantine in eine Sakristei zu verwandeln.
„Yeah Man, I know that faith can move mountains „, sagt Toots bedächtig.
Und dann fahrt er – zu mir gewandt – in fast väterlichem, lehrmeisterhaftem Tonfall fort: Ich kümmere mich kaum um die Gegenwart. Alles was ich sage, alle Ansichten, die ich vertrete, stammen aus einer anderen Zeit, sind viel, viel älter als ich selbst. Was jedoch nicht bedeutet, daß sie heute ihre Gültigkeit verloren haben. Weißt du, was ich unter spiritueller Erlösung verstehe, was es heißt Menschen, Musik und Glauben wiederzubeleben?All I Do Is To Revive … Redemption Songs …“
Und als ob ihm schlagartig ein treffendes Motto eingefallen wäre, platzt er heraus: „Es ist einfach ein Revival, Yeah Man, REVIVAL REGGAE!“
Wenn die Maytals ihre urwüchsige, kaum zu kategorisierende Mixtur aus Memphis-Soul, Gospel und Funk-Reggae aufkochen, dann verschlägt es einen glatt per Zeitraffer in die Ska-Ära zurück. Raleigh Gordon, Jerry Mathias und Toots sind sicherlich die am längsten existierende jamaikanische Vocal-Gruppe und ebenso sicher die einzigen, die sich bis heute unverändert am Ska-Tempo orientieren.
Als ich mit Peter Tosh in Zürich war, wo Toots die Show eröffnete, hatten die Maytals 8000 Leute in ihrer Gewalt, die sich zu dem simplen, auf und abhüpfenden Beat die Seele aus dem Leib tanzten. Tosh & Co standen Nostalgie und Anteilnahme förmlich ins Gesicht geschrieben, als die Maytals ihre Oldtimer-Revue eröffneten. Es war, als blättere man im Geschichtsbuch zurück. Toots beginnt noch immer mit „Pressure Drop“ und beendet den Set mit „Monkey Man“, singt „Hallelujah“, das erste Lied, das die Drei zusammen schrieben und „54-46 That’s My Number“, seine persönliche Abrechnung mit der mehrmonatigen Haftstrafe, die er im Sommer‘ 66 wegen Ganja-Besitzes verbüßte.
Er verließ sich nicht zuletzt deswegen auf die Palette seiner populärsten Songs, da er das im vergangenen Jahr erschienene LIVE-Album promoten wollte, “ den ‚Greatest Hits‘ Backkatalog für alle Zugestiegenen.“ Von 1961 („Hallelujah“) bis 1981 („Peace Perfect Peace“) nahmen die Maytals wohl an die hundert Singles auf und bestimmt 2 Dutzend Langspielplatten, arbeiteten mit den Produzenten Coxone, Leslie Kong und Chris Blackwell zusammen, begaben sich aber erst in diesem Sommer erstmals auf ausgedehnte Europa-Tournee.
Mit erfreulicher Resonanz, resümiert Toots selbstzufrieden im Jubiläumsjahr. 20 Jahre sind sie nun zusammen, seit 11 Jahren mit der selben Backing Band (dem Nukleus von Hux Browns Dynamites). Die Zeitschriften Daily Gleaner und Jamaica Pictorial nannten die Maytals kürzlich ‚Jamaikas wahren Motown-Act und kürten Toots zum‘ Grandfather Of Reggae‘. Zu Hause sind sie eine Institution, keine Frage, Pioniere, Wegbereiter, guicklebendige Überbleibsel aus der Vergangenheit, die das Erbe, die Essenz jamaikanischer Volksmusik verkörpern.
Toots hat es immer vermieden, die Bühne zum Agitationsparkett zu machen, seine Songs sind apolitisch und völlig undogmatisch, musikalisch säkularisierte Religion, autobiographisch und optimistisch. Obwohl er sich gerne als „Herbalist“ bezeichnet, Ganja als ein Sakrament Gottes empfindet, käme es ihm nie in den Sinn, diese Einsicht zur Kampagne hochzustilisieren. Toots lebt asketisch und zurückgezogen, Veränderungen und die Schnellebigkeit des Ghettos scheinen seinen Lebensrhythmus nicht zu beeinträchtigen.
Oh ja, die Maytals rangen sich in den vergangenen Jahren zweimal zu zeitgerechten, aber total verunglückten Versuchen durch, mit der an ihnen vorbeipreschenden Entwicklung schrittzuhalten (PASS THE PIPE und TOOTS PRESENTS THE MAYTALS), bis man zu der Einsicht gelangte, den ursprünglich eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Das Resultat hieß JUST LIKE THAT, ihre ausgeglichenste Song-Kollektion seit IN THE DARK.
Wenn Toots beharrlich die jamaikanische Gegenwart totschweigt und immer wieder auf seine spirituelle Aufgabe verweist, die ihm so wenig Zeit für an dere Themen schenkt, dann ist ein Anflug von Verbitterung in seinen Zügen auszumachen. „Ich mache Musik für jedermann, nicht für eine spezifische ethnische Gruppe. Reggae ist für alle da, nicht nur für Schwarze, für Natty Dread-Rastas, für Jamaikaner! Mir ist völlig egal, wo ich auftrete, für wen ich spiele. Baldheads und Dreadlocks, Schwarze und Weiße alle sind willkommen!“
Was hier so universal und reglementarisch klingt, ist für ihn nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. „Ich bin einfach zu vielen Rasta-Bredren begegnet, die eine Art Gegenrassismus kultivieren und schwarze Superiorität predigen …, bekennt er nachdenklich.
Ist es nicht auch seine Konfession, die ihn bei manchen Kids auflaufen läßt? hake ich vorsichtig nach.
„Als wir uns zusammengefunden haben, Jerry, Raleigh und ich“, sinniert er, „haben wir uns alle zur koptischen Kirche bekannt und daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Koptische Kirche ist die älteste Kirche der Welt. Sie ist für alle da, für Schwarz und Weiß. Du kannst sie nicht sehen“, lächelt Toots gütig, „sie besteht nicht aus Holz und Steinen, sie ist ein fiktives Gotteshaus und existiert nur in unserem Geist. Wir reden von dem „King Of Kings“ in uns, glauben somit nicht an einzelne, auserwählte Repräsentanten Gottes. Weder an den Papst noch an Haile Selassi.“
Toots winkt den in unserer Nähe sitzenden Rasta herbei. „Bruder“, sagt er, ein Hauch von Zynismus in seiner Stimme ist unüberhörbar, „wir reden gerade vom King Of Kings. „Von Negusa Nagast, Ras Tafari Makonnen, dem siegreichen Löwen aus dem Stamme Judah, Kaiser von Athiophien, Haile Selassi 1? „Ganz richtig“, erwidert Toots grinsend. „Beantworte mir doch bitte eine Frage. Wer hat denn deinen King Of Kings, Haile Selassi, eigentlich erschaffen?“
Angesichts der ausbleibenden Antwort bricht Toots in markerschütterndes Gelächter aus. Er ist jetzt völlig aufgekratzt und drängt darauf, in Kingston anzurufen, um alle Gleichgesinnten an seiner prächtigen Laune teilhaben zu lassen.
Ob es ihn stört, daß heute Bands wie die Specials aus seinen Songs Kapital schlagen? „No Man, nicht im geringsten. Es sind tolle Songs, jeder hat ein Recht darauf, sie zu hören. Musik ist ein Geschenk Gottes. Mir ist es gleich, ob man sie Bluebeat, Rocksteady oder Rockers nennt. I Love Funk, Calypso, Jazz, Spirituals & Gospel. I love Ray Charles, Mahalia Jackson, Sam Cooke and all these american singers, black and white. I love music about God & the bible. I love people. I love myself! Sonst noch Fragen…?