Tristan Brusch im Video-Interview über Kitsch, Chanson und Perfektion
Wir haben einmal ausgiebig mit dem Wahlberliner über die Unterschiede zwischen Kitsch und Romantik, modernem Chanson und Schlager und einer lauten und leisen Liebe gesprochen.
Tristan Brusch hat seit seiner Pop-EP FISCH (2015) eine musikalische Kehrtwende hingelegt. Auf AM WAHN, dem vierten Studio-Album des Musikers aus Tübingen, regiert der klassische Chanson à la Serge Gainsbourg, Jacques Dutronc und Gilbert Bécaud, gepaart mit Grandezza-Balladen, die in einigen Momenten an Element Of Crime und Udo Jürgens erinnern. Handelte seine vorherige Platte AM REST (2021) noch von einer scheiternden Beziehung, geht es auf AM WAHN genau darum, was der Titel suggeriert: Um eine Liebe, so groß, so dramatisch, so toxisch, dass sie einen an den Rand des Wahnsinns zu bringen vermag.
Wir haben den 35-Jährigen zum Video-Interview getroffen, um mit ihm über die Unterschiede zwischen Kitsch und Romantik, Chanson und Schlager und einer lauten und leisen Liebe zu sprechen.
Schaut Euch das ganze Video-Interview hier an:
Interview: Emma Wiepking
Produktion: Felix Ferraris
Was für ein Start: Brusch empfing gleich morgens um 10 Uhr in seiner Berliner Wohnung. Er habe verschlafen, sagte er leicht verlegen, das passiere ihm sonst nie. Die Sonne schien durchs Wohnzimmerfenster, während wir das Kamera-Equipment auf einem persischen Teppich aufbauten. Tristan Brusch machte Kaffee mit Hafermilch und setzte sich auf seine senfgelbe Couch, die auch bei Lee Hazlewood und Nancy Sinatra im Aufnahmestudio hätte stehen können. Er wisse nicht mehr genau, wo er sie her habe, sagte Brusch, „wahrscheinlich von Zara Home.“ Auf die Frage, wie er sich nach der Veröffentlichung der neuen Platte fühlte, erklärte er: „Wenn man ein neues Album herausbringt, kommt das ganze Lob ja auf einmal. Das begünstigt auf jeden Fall gewisse Persönlichkeitsstörungen.“
Er habe bei der Produktion von AM WAHN bewusst versucht, die Kontrolle abzugeben, erzählte er zudem, um sich nicht „in den Arrangements-Prozessen zu verlieren“. Dazu nahm er die Song-Demos auf seinem Handy auf und schickte sie dem Produzenten Tim Tautorat, der bereits mit Künstler:innen wie AnnenMayKantereit, Faber und Provinz zusammenarbeitete. Das Experiment ging nicht ganz auf: Brusch war letztendlich mehr in die Produktion eingebunden als ursprünglich gedacht. „Ich bin der totale Kontrollfetischist, was meine Musik angeht“, sagte er im Interview. „Ich denke immer, dass ich es am besten weiß und es braucht schon Vertrauen, um das abzugeben.“
Tristan Bruschs Songtexte definieren sich vor allem durch ihre Nähe zur Poesie. Doch Poesie neigt auch schnell dazu, in kitschige Gefilde abzudriften. Auf die Frage, ob er Kitsch für etwas schlechtes halte, antwortete Brusch: „Es gibt nicht etwas, was objektiv Kitsch ist. Die Grenze ist jedenfalls nicht ganz klar, finde ich.“ Er fügte aus: „Zum Beispiel als ich den Song ‚Kein Problem‘ gemacht habe, war zuerst die Musik fertig und dann kam mein Freund Max Richard Leßmann und ich hab ihm gesagt: „Schreib‘ doch mal einen Text dazu.“ In meinem Kopf war das ein Song, der auch auf einem Nick-Cave-Album funktionieren könnte, er hatte auch etwas Düsteres. Und dann kam aber auf einmal dieser deutsche Text dazu und plötzlich hatte es in Anflügen was von Kitsch.“ Er hielt abschließend für uns fest: „Ich finde Kitsch als Stilmittel eigentlich gar nicht schlecht, aber was ich brauche, ist so ein Stachel irgendwo. Es muss schon bisschen wehtun.“