Tubes


A1s die amerikanischen Tuben im Winter 1977/78 in Deutschland vorfühlten, wie es um ihre Popularität bei uns bestellt ist, kamen sie ohne Rückenwind: es fehlten ihnen Hits. Dennoch sorgte Flüsterpropaganda für gut gefüllte Hallen zwischen München und Hamburg. Als die Tubes Deutschland wieder verließen, hatten sie mit ihrer bizarren Bühnenshow und ihrer originellen Spielart von Rockmusik etliche Städte im Sturm erobert. Man fieberte allerorten der angekündigten nächsten Tubes-Tournee entgegen. Doch ihr neuerlicher Sprung über den Atlantik endete, wie gesagt, mit gebrochenen Sängerbeinen in England. Also ging’s erstmal zurück nach San Francisco.

Daß Fee Waybill gefährlich lebt, hatte sich schon beim ersten Tubes-Besuch in Deutschland gezeigt. In einer höhnischen Parodie auf altersschwache Superstars aus der Hardrock- und Heavyrock-Szene stakste er mit gigantischen Silberstiefeln über die Bühne. Wenn er mit Schaum vor dem Mund und einem erstickenden Röhren in der Kehle zu Boden ging, mußten ihn zwei Helfer wieder auf die Füße stellen anders ging es wohl nicht in dieser Verkleidung.

Fee Waybill ist – genau wie alle übrigen Mitglieder der etwa ein Dutzend Köpfe starken Tubes – ein Meister des Mummenschanzes und des Umziehens natürlich. Als Punk tritt er im blutbeschmierten Lederdress und mit Ketten behängt auf. Mit einer ratternden Motorsäge wütet er vor dem Mikrophon, bis man Angst um das Leben seiner Mitspieler bekommt. Aber die Tubes schonen niemanden, am wenigsten sich selbst. Eineinhalb bis zwei Stunden lang rocken sie und spielen dabei gleichzeitig Theater zum Teil mit geradezu artistischem Können. Sie holen Stars von ihrem Sockel, lassen kaum eine Spielart des Rock ungeschoren und gehen dann weiter in den gesellschaftspolitischen Bereich, wo der american way of life, der ja zum Teil auch unserer Lebensweise entspricht. Zielscheibe wird. Die Tubes schlagen mit Satire zu, dato heilM. sie überspitzen, um einen klaren Durchblick zu ermöglichen. Oft gehen sie hart an die Grenzen des Erträglichen. In jenem Showteil, in dem sie vor einem Jahr in Deutschland den Warencharakter der Sexualität und die zunehmende Brutalität beim Geschäft mit dem Sexualtrieb unter die Lupe nahmen, kam die Satire selbst schon nahe an Pornographie heran.

Die Tubes präsentieren totales Rock-Theater. Etwas Vergleichbares gibt es nicht und hat es vorher nie gegeben. Die Intensität, mit der sie spielen, ist beispiellos: es geht das Gerücht. Fee Waybill steigere sich manchmal beim Song „White Punks On Dope“ soweit in die Rolle des aufgemotzten Rockstars hinein, daß er am Ende kotzen müsse. Vermutlich hat ihm dieser Hang zur Realität auch die Beine gebrochen. Dazu Tubes-Chef und Gitarrist Bill Spooner: „Wir spielten in einem kleinen Nest in England. Fee hatte diese blöden Punk-Sonnenbrille auf und schwankte über eine kleine Bühnenerhebung und fiel von der Bühne. Wir waren begeistert! So gut war Fee noch nie gewesen! Doch als er nicht mehr aufstand und sich mühsam versuchte am Bühnenrand hochzuziehen, war uns klar, daß irgendwas mit ihm nicht stimmte, obwohl er seine Rolle zwangsläufig immer noch unglaublich gut spielte. Wir konnten einfach nicht aufhören, also spielten wir die Show zu Ende! Als wir fertig waren, lag Fee zwar schon längst im Krankenhaus, aber die Kids waren trotzdem begeistert…“

Durch den Abbruch ihrer Sommertour hatten die Tubes zwar eine Menge Geld verloren, doch zwei gebrochene Beine bedeuten für eine Gruppe wie diese noch lange keinen Weltuntergang. Zurück in San Franzisco wurde am Aufbau eines eigenen 24-Spur-Studios gearbeitet: der nächste Schritt war der Beginn der Vorbereitungen für das neue Album. Todd Rundgren wurde als Produzent engagiert.

Bill erzählt von den Image-Problemen der Tubes, die sich selbst eigentlich doch mehr als Rockgruppe sehen denn als Theater-Ensemble (,,Rock and Roll is in our soul“), „Unser Problem ist der Hit“, sagt er. „Wir hatten zwar schon einiges in den Top 40, doch Radiostationen in den USA dürfen meistens unsere Songs nicht spielen. Nimm zum Beispiel „White Punks On Dope“. Man darf White nicht in der Öffentlichkeit sagen, weil das diskriminierend sein könnte, und mit „Punk“ und ,,Dope“ würde der Disckoekey wahrscheinlich seine letzte Platte im Rundfunk aufgelegt haben…“

In einigen US-Bundesstaaten haben die Tubes Auftrittsverbot wegen ihrer sexuellen Anspielungen. Zum Beispiel in der Twin City Minneapolis St. Paul im Bundesstaat Minnesota. „Da gibt es eine Liga der Mütter gegen die Tubes. die machten einen Aufmarsch, bevor wir spielten. Und das alles nur, weil wir T-Shirts verkauften mit dei Aufschrift ,No Titties In Twin Cities…“