Ungleiche Brüder
Mit Jane's Addiction wurden Perry Farrell und Dave Navarro in den 80ern zu Ziehvätern des Alternative Rock. Nun gehen die ungleichen Brüder eigene Wege. Jane's Addiction aber soll weiterleben.
Eigentlich hätten sie ihre Promo-Termine gleich im Doppelpack erledigen können. Schließlich haben beide dasselbe Anliegen – sowohl Perry Farrell (42) als auch sein Gitarrenkollege Dave Navarro (34) stellen ihre ersten Soloalben vor. Doch die beiden unterscheiden sich so sehr, dass sie besser getrennt auftreten. Perry, der entrückte, weltfremde Späthippie mit schrillen Fantasiekostümen und einer Vorliebe für Themen wie Weltfrieden und Räucherstäbchen, lässt im Verlauf seiner Interviews reihenweise erlesenen Rotwein entkorken. Ganz anders Dave, der Rocker in schwarzem Leder, der harte Drinks und andere Substanzen mag und sich als dunkler Denker erweist: „Ich bin eben kein glücklicher Mensch. Das brauche ich nicht schönzureden. Wer mit mir klarkommen will, muss auf mich eingehen und Verständnis aufbringen. Sonst gibt es keine gemeinsame Basis „
Farrell und Navarro verbindet aber nicht nur ihre, wenn auch unterschiedlich gelagerte, Exzentrik. Beide entstammen einem betuchten Umfeld (Farrell kommt aus einer Juwelierfamilie, Navarros Vater leitet die größte Werbeagentur in LA.), sehen Rockmusik als eine Kunstform unter vielen an und verstehen Drogen als legitimes Mittel zur Selbsterfahrung – eine Haltung, die sie schon zwischen 1984 und 1986 bei der Gründung der Kultgruppe Jane’s Addiction zusammenführt. Mit Bassist Eric Avery und Schlagzeuger Stephen Perkins kombinieren sie New Wave, Gothic und Metal in einer theatralischen Performance. Eine Melange, die im krassen Gegensatz zur bierseligen Biker-Mentalität von Los Angeles und den abgegriffenen Klischees des Rock’n’Roll steht. Ohne schrittbetonte Spandex-Hosen, ohne Föhnfrisuren, ohne Cowboystiefel, dafür mit Dreadlocks, Nasenringen, Make-up und Fantasie-Outfits. Eine stilvolle Provokation, die Jane’s Addiction zu den Ziehvätern einer neuen Bewegung macht: des Alternative Rock. Allerdings sind es weniger die Songs, die für Aufsehen sorgen, als vielmehr die von Perry gestalteten Plattencover, etwa die Statue zweier nackter Frauen oder aber ein flotter Dreier zwischen Pappmaschee-Figuren – ein im prüden Amerika gewagtes Vorgehen, das von Politikergattin Tipper Gore gleich mehrfach gerügt wird. Im Sommer 1991 bricht die Band auseinander, allerdings nicht ohne ein denkwürdiges Abschiedsgeschenk: das sagenumwobene Lollapalooza Festival. Ein Wanderzirkus mit einem guten Dutzend Bands sowie einem ambitionierten Beiprogramm aus alternativem Infotainment. Einerseits Jahrmarkt, Riesenrad und Fastfood, andererseits politische Themen wie Menschenrechte und Umweltschutz. Die noch junge Grunge- und Alternative-Liga hat ihr ureigenes Happening, das sich bald zur alljährlichen Institution mausen und bis 1997 die denkwürdigsten, weil gegensätzlichen Acts umspannt: lames neben Snoop Doggy Dog, Devo neben Metallica, Nick Cave neben den Beastie Boys und Siouxie & The Banshees neben Ice Cube.
Mit Lollapalooia, benannt nach dem Titel einer Episode der amerikanischen TV-Komödianten The Three Stooges, setzten sich Jane’s Addiction ein musikalisches Denkmal, das bis heute unantastbar scheint, Jane’s Addiction mutieren derweil zu einer Kultgruppe, deren wenige Platten posthume Millionenauflagen erreichen, die Heerscharen von jungen Bands beeinflusst und deren Mitglieder Farrell und Navarro auch nach der offiziellen Trennung schillernde Persönlichkeiten der amerikanischen Rockszene bleiben. Perry gründet die spleenigen Porno For Pyros, eine Gruppe, die optisch zwar ziemlich schrill ist, auf ihren beiden Alben aber nur alte Ideen aufkocht. Die Band scheitert ebenso wie Farrells Versuch, mit dem amerikanischen Dance-Festival ENIT die britische Rave- und House-Kultur in die USA zu importieren oder die Bemühungen, das Hippie-Dance-Rock-Projekt Gobale in den Staaten zu etablieren.
Ganz anders und doch sehr ähnlich verläuft der weitere Weg von Dave Navarro: Nach dem Ende von Jane’s Addiction übernimmt er ausschließlich lukrative Aushilfsjobs, etwa als Ersatz für Izzy Stradlin bei Guns ‚N Roses oder als Stand-In bei den 4 Non Blondes. Anfang 1994 entschließt er sich für ein festes Engagement bei den Red Hot Chili Peppers. Technisch perfekt, kann er dem Band-Sound dennoch keine wirklichen Impulse geben: „Sie haben mich gut behandelt und trotzdem jederzeit spüren lassen, dass ich der Neue bin und besser die Klappe halte. Und das ist nicht besonders motivierend.“ Im Sommer 1997 unternimmt Navarro einen ersten Ausbruchsversuch: Er versöhnt sich mit Farrell und reformiert Jane’s Addiction, allerdings glücklos. Von ihrer Plattenfirma in den Himmel gehypt, enttäuscht die Gruppe ihre Fans mit einer Compilation aus Demos, Live-Mitschnitten und Outtakes, auf der sich lediglich ein neuer Track findet – ein Armutszeugnis, das für einen nachhaltigen Image-Schaden sorgt. „Es war wirklich ein Fehler, das Ganze so verbissen anzugehen“, Zu zweit allein
meint Navarro rückblickend. „Wir haben uns von den Plattenleuten überreden lassen, das Ganze im großen Stil aufzuziehen und zumindest eine CD mit alten Sachen rauszubringen. Dafür haben sie uns finanziell unterstützt – ein ganz mieser Deal.“ Die folgenden Reunion-Gigs enden im Chaos: Perry und Dave rasseln ständig aneinander, reisen in getrennten Bussen und greifen wieder zu harten Drogen. Schließlich schmiert der völlig zugedröhnte Navarro eine Liebeserklärung an die Garderobe von Fiona Apple – in Blut. „Ich war damals so unglücklich und frustriert darüber, dass ich mit einer Band tourte, die nur ihre alten Sachen aufkochte und nichts zu sagen hatte. Das war alles so falsch und heuchlerisch.“ Jane’s Addiction wird auf Eis gelegt. Dave jammt stattdessen mit Marilyn Manson, Nine Inch Nails und Alanis Morissette.
Dia nächsten zwei Jahre verbringt er in der Isolation seines mondänen Appartements in den Hollywood Hills. Er malt, fotografiert, schreibt Songs und feiert mit Manson, den Smashing Pumpkins und Trent Reznor: „Ich bin im Grunde ein ruhiger Mensch, der kaum ausgeht und sich gerne zurückzieht. Aber wenn ich Alkohol trinke oder sonst etwas nehme, werde ich ein richtiges Monster.“ Manson berichtet in seinem ’98er-Buch „The Long Hard Road Out Of Hell“ genussvoll von gemeinsamen Orgien und wilden Exzessen. „Ich fand es unfair, dass er unsere privaten Erlebnisse ausplauderte und mich als den absoluten Deppen darstellte. Ich kann mich an viele Dinge nicht erinnern. Und da er genau so stoned war, dürfte das auch für ihn gelten“, spielt Navarro auf den Oralverkehr an, den er dem guten Marilyn damals angeblich angedeihen ließ. „Dabei stehe ich nicht auf Männer“, zischt der Bloßgestellte. Seine derzeitige Affäre mit Carmen Electra mag als Beweis gelten.
Tatsache ist: Dave hat eine Menge Probleme, derentwegen er in psychologischer Behandlung ist. So knabbert er seit frühester Kindheit an der Scheidung seiner Eltern und am Tod seiner Mutter, die von ihrem späteren Lebenspartner umgebracht wurde. „Ich war sieben, als sich meine Eltern trennten. Damit ich mit der Situation klar kam, haben sie mich zum Psychologen geschickt. Ich glaubte, ich sei schuld an ihrer kaputten Beziehung und würde jetzt dafür bestraft. Seither bin ich absolut beziehungsunfähig, weil ich keine Liebe empfinde und auch keine zurückgeben kann. Und das, obwohl ich mich durchaus danach sehne“ – neben Paranoia, Einsamkeit und Depressionen eines der Themen, die Dave auf seiner Solo-CD „Trust No One“ aufarbeitet: „Diese Platte hat mich ein ganzes Stück weitergebracht, weil ich endlich den Mut hatte, über alles zu reden und meine Probleme auf den Punkt zu bringen. Das heißt nicht, dass ich sie jetzt los bin, aber sie schwirren nicht mehr ständig in meinem Kopf herum.“ „Trust No One“ zeigt aber nicht nur therapeutische Wirkung, sondern erweist sich zudem als gelungener Grenzgang zwischen Alternative Rock, sphärischer Psychedelia und dezenten Industrial-Anleihen.
Farrell experimentiert derweil mit seinem Steckenpferd Elektronik, paart Sequenzer und Loops mit Rockgitarren – und bemüht sich, auf die britische Konkurrenz Boden gut zu machen: „Ich musste alles auf einmal lernen: Programmieren, Schneiden, Sampeln das ganze Programm. Das war wirklich schwierig.“ Man hört’s. Die Beats sollen frisch und modern zu klingen, haben aber nichts Innovatives oder Originelles an sich. Dass dabei trotzdem ein paar akzeptable Songs entstanden, spricht für Farrell. Schwer nachvollziehbar sind dagegen die kryptischen Texte, in denen er seinem Glauben Ausdruck verleiht. Perry Farrell hat das Judentum für sich entdeckt: „Ich musste mein ganzes Denken und mein Wertesystem umstellen. Ich habe aufgehört zu trinken, nehme keine Drogen mehr und habe endlich eine Familie mit Kindern.“ Neue Projekte lassen sich aber auch mit neuem Glauben nicht immer umsetzen. So wollte Perry in Israel ein großes Festial veranstalten, scheiterte allerdings am Veto der Jerusalemer Stadtverwaltung, die lieber etwas Ähnliches wie eine Love Parade genehmigte. Farrell trägt es mit Fassung und plant stattdessen einen neuen Wanderzirkus in Lollapalooza-Manier, der noch in diesem Sommer durch Amerika und Europa tingeln soll, ein aufwendiges Spektakel aus Akrobaten, Kleinkünstlern, Tänzern und einer futuristischen Lightshow – sofern sich dafür Sponsoren und genug Zuschauer finden.
Weltaus realistischer erscheint da schon die Absicht von Dave Navarro, es mit den Songs seines Soloalbums „Trust No One“ erst einmal in kleinen amerikanischen Clubs zu probieren, statt sich gleich auf das internationale Parkett zu wagen. Außerdem schafft er sich sicherheitshalber andere Standbeine, zum Beispiel mit dem Anfang August erscheinenden Fotoband „Don’t Try This At Home“ und einer Jane’s-Addiction-Tour im Sommer. Die Konzertreise ist keine Reunion und auch kein Auftakt zu mehr, sondern lediglich eine Reihe von Auftritten unter alten Bekannten, die auch in Zukunft eine Fortsetzung finden könnten. Und so sind Jane’s Addiction mit allen Irrungen und Wirrungen auch weiterhin präsent. Zwar nicht mehr als innovativer, stilprägender Act, aber doch mit vielen Überraschungen – sofern sie denn gelingen.
www.perry-farrell.com
www.davenavarro.net