Konzertbericht

Wanda und Olli Schulz in Berlin: Sympathisch wie ein ganzer Monat ohne Facebook


Am Donnerstagabend fand auf dem Messe-Gelände in Berlin ein Konzert mit circa 1,8 Headlinern statt. Dad-Rocker Olli Schulz trat vor den österreichischen Amore-Botschaftern Wanda auf. Es war, im Rahmen der örtlichen Möglichkeiten und all der überörtlichen Kack-Vibes, ein ziemliches Fest.

Auch wenn nächste Woche vielleicht die umliegenden Brandenburger Wälder wieder unter der lodernden Spätsommersonne brennen und die Spätis dieser Stadt „Gerade nicht auf Lager“-Aufsteller in ihre Sonnenmilch-Auslagen stellen: Der offizielle Herbstbeginn in Berlin 2018 darf auf den 30. August datiert werden – der Abend, an dem Wanda und Olli Schulz es aber trotzdem gelang, gegen die grauen Wolken, in deren Folge ergiebigen Regen, gegen Funktionsjackenjucken und dieses ganze weitläufig-unverbindliche Funk-trifft-Landesgarten-Ausstellung-Ambiente des sogenannten Sommergartens, vor allem aber gegen die miesen Vibes aus fast überall in unserer Welt anzukonzertieren.

Aber stopp, das stimmt gar nicht. So gut wie nichts war „dagegen“, alles nur „dafür“ bei den Auftritten dieser letztlich gar nicht so unterschiedlichen Rockern und Rockpoppern. Das klingt jetzt vielleicht irgendwie kitschig, aber tatsächlich zeigte sich (wieder), dass diese beiden Acts nicht nur für ein grundsätzliches humanistisches Weltbild stehen, sondern sie sind tatsächlich ganz ausdrückliche, postironische Botschafter der Liebe: Wanda ja eh symbolst-offensichtlich, denn sie brüllen allenthalben „Amore!“ seit der Mensch sie hören kann, und Herr Schulz trotz aller seiner komödiantischen Ein- und Ausfälle mehr als man vielleicht denkt.

Praktische Lebenshilfe

https://www.instagram.com/p/BnHanaLFOqd/?hl=de&tagged=ollischulz

Was tun mit der Regierung in Österreich? 99 Fragen an Marco Michael Wanda
Obwohl es beide bei nächster Gelegenheit in Abrede stellen oder wenigstens relativieren wollen: Olli Schulz, indem er sagt, dass er eigentlich gar nichts weiter sagen will, dann aber eben doch was sagt, über Chemnitz und die AfD-Protestwähler, die sich ihren eigenen Rassismus und ihre generelle Lebens- und Liebesfeindlichkeit nicht eingestehen wollen. Davon abgesehen, dass jedes zweite Lied des immer erwachseneren Songwriters praktischer Lebenshilfe gleichkommt – besonders glaubwürdig aus der Perspektive eines Grüblers, oft Gescheiterten, sich an dem Menschen abarbeitenden.

Und Wanda, indem sie einfach immer ihrer Wanda-Welt verpflichtet bleiben, in der 24/7 über Schnapsflaschen und herumliegende Herzen stolpernd in Kissen und Leidenschafts-Seen getaucht wird, wo man nichts mitkriegen muss vom stumpfen, blinden Rest der Welt. Aber man sieht, hört und spürt ganz deutlich, wie Marco Wanda angesichts dessen, was an bösem Willen und Dummheit gerade die Nachrichten und das Zusammenleben der Menschen vergiftet, seine einzige Botschaft verstärken möchte. „Amore!“ ist nicht mehr genug, er stiftet das Publikum zu „Kein Hass!“-Chören an, improvisiert in „Ich sterbe“ eine Zeile über die weißen Menschen mit (dem Privileg) „Personalausweisen“.

Nicht wieder wegrocken lassen

Aber kommen wir auch auf den leichten Unterhaltungsaspekt dieser Veranstaltung zu sprechen: Olli Schulz ist perfekt besetzt auf dem Animateursposten, noch im frühabendlichen Tageslicht mitsamt seiner hochmusikalischen Band (u.a. mit Max Schröder und Kat Frankie) nichts als Kurzweil verbreitend. Wenn vielleicht auch nicht bis in die letzten Reihen. Ohnehin sei er von Wanda in Kassel schon mal dermaßen weggerockt worden, da spielte er nach ihnen und es blieb kaum mehr aufnahmefähiges Publikum mehr für ihn übrig, da ist ihm diese Reihenfolge gar nicht unrecht, erzählt er.

Marco Wanda

Chaos, Rock'n'Roll und Amore: Wir waren drei Tage mit Wanda auf Tour
Aber er hat die wahren Dad-Rock-Hits („Ghostbusters“, „I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)“ und „On The Road Again“), die er zum großen Volksfestspaß anspielt, aber auch seine eigenen Szeneschlager wie „Wenn es gut ist“ oder „Spielerfrau“ und einen todesnostalgischen Augenbefeuchter wie „Als Musik noch richtig groß war“. Und vor allem: Er kann als Entertainer, der seine leicht ungelenke, schnauzbärtige Rolle gefunden hat und nach dem Sprung ins Publikum wirklich nur durch das Mikrofon von den anderen zu unterscheiden ist, an alle und alles andocken, was ihm gerade so ins Auge und in die lebendigen Gedanken springt. IFA-Anekdoten inklusive. Sehr locker, sehr unterhaltsam, so sympathisch wie ein ganzer Monat ohne Facebook.

Besonders noisy: Marco

Wanda haben sich über die ereignis- und erfolgreichen Jahre seit ihrem Debüt AMORE von vor vier Jahren selbst zu einem veritablen Rockzirkusmonster herangezogen. Können große Bühne, mit sehr viel Scheinwerfern, spielen fast die ganze Zeit auf Druck, auch auf Tempo, der Sound ist oft richtig noisy. Besonders noisy: Marco Wanda, der seine Stimme noch mehr zu pressen scheint als früher schon und auch dort rein dröhnt und mault und brüllt, wo er auf Platte Ruhe hält.

Die vielen Hits braucht man hier nicht aufzählen. Das „Letzte Wienerlied“ im letzten Teil, mit Streichquartett-Finale, gefolgt von noch ein paar anderen melancholischeren Zwischentönen vom jüngsten Album NIENTE bringt etwas Abwechslung in den tosenden Rock´n´Roll. Der mag einem manchmal sogar etwas stumpf vorkommen. Auf der anderen Seite vermögen ihn diese Österreicher so zu darzubieten, dass er selbst ohne Worte gar nicht missverstanden werden kann. Diese Musik sagt: Liebe das Leben und liebe alle, die dies auch tun.

Kurzform: Amore!

Stefan Hoederath Redferns