Warum geht man in Rockkonzerte?
„Warum gehst du in ein Rockkonzert?“ „Wegen der Musik natürlich“, sagt Klaus, und er hat recht damit. Mehr als 500 Rockkonzertbesucher, von ME befragt, gaben zunächst die gleiche Antwort: „Wir interessieren uns für die Musik.“ Erst nachdem wir uns länger mit Klaus unterhalten hatten, erzählte er uns, daß er bei den verschiedenen Rockkonzerten seine Freunde trifft, neue Leute kennenlernt und ab und zu die Atmosphäre braucht, um „einmal richtig einen durchziehen zu können!“
Rockkonzerte sind immer noch in. Seit den Tagen der Isle of Wight, von Fehmarn, Woodstock und anderen Großveranstaltungen sind sie zu einer festen Einrichtung geworden. Zunächst scheint die Musik der Anziehungspunkt zu sein, aber sie ist nicht immer ausschlaggebend. Karin, und mit ihr viele andere Mädchen, gehen ins Konzert, um neue Typen kennenzulernen: „Mir ist die Musik manchmal sogar zu laut, da geh‘ ich ins Foyer und trinke ’ne Cola. Ich schau‘ mir dann die Typen an, die da so ‚rumlaufen. Wenn mir einer gut gefällt, dann quatsch‘ ich ihn an. So hab‘ ich schon ’ne Menge guter Leute kennengelernt. Welche Gruppe dann da spielt, das ist mir völlig egal!“
Die deutschen Groupies sind die gründlichsten!
Für Helga ist es wichtig, hinter die Bühne zu kommen. Sie versucht, die Ordner zu bestechen, oder sie bemüht sich um einen Backstagepaß, den sie sich irgendwo ausleiht. Sie steht auf Clapton oder Jeff Beck: „Jeff Beck zieht sich irre an, ich finde ihn unheimlich gut. Ich finde es aufregend, hinter der Bühne zu stehen und ihm zuzusehen. Außerdem habe ich hinter der Bühne immer die Hoffnung, nach dem Konzert mit ihm reden zu können.“ „Nur reden?“ „Nur reden, Groupie bin ich nämlich nicht!“ Überhaupt findet man weniger Groupies, als man glaubt. Oder die Mädchen wollen, es nicht zugeben. Von 55 Mädchen gab es nur zwei, die schonmal mit einem Musiker geschlafen haben. Trotzdem haben die Gruppen großen Respekt gerade vor deutschen Mädchen. Der ehemalige Deep Purple-Gitarrist Ritchie Blackmore zum Beispiel sagt: „Die deutschen Groupies sind die gründlichsten!“
Das deutsche Publikum ist kritisch
Soziologische Untersuchungen sind in Deutschland bisher über die Motive der Rockkonzertbesucher noch nicht angestellt worden, weil unser Musikleben immer noch von einer elitären Minderheit bestimmt wird, die sich mit einer solch „miesen“ Musik nicht abgeben will. Erhebungen aus anderen Ländern können keinen echten Aufschluß geben, da sie der jeweiligen Mentalität entsprechen. Ausländische Bands, über das deutsche Publikum befragt, geben fast ausschließlich zur Antwort: „Die Deutschen sind sehr kühl, sehr zurückhaltend.“ Begeisterungsfähigkeit, in anderen Ländern ein wichtiger Grund, ein Konzert zu besuchen, scheidet beim deutschen Publikum fast aus. Wir sind kritisch, den Bands manchmal zu kritisch. Bei uns entscheidet die Leistung der Band. Erst wenn die gut ist, lassen wir uns davon begeistern!
„Es ist schwer, mit Softmusic Euphorie hervorzurufen“
Der Versuch, Leistung durch Lautstärke zu ersetzen, wird erkannt, aber nicht akzeptiert. Hans Werner Funke, einer der drei großen Konzertveranstalter aus Hamburg, meint sogar: „Die Leute wollen heute die Musik genießen, ja, sich sogar dabei unterhalten können. Wir haben in Hamburg erlebt, daß bei den Grand Funk Railroad die Leute reihenweise den Konzertsaal verlassen haben, weil es ihnen einfach zu laut war.“ Klaus dagegen braucht „einen satten Sound, um abschalten zu können.“ Die Sparine zwischen gutem und phongerechtem Sound und Überlautstärke ist gering. Eine gewisse Phonzahl ist notwendig, so meint auch der Soziologieprofessor Alphonse Silbermann von der Universität Köln: „Es ist schwer, mit Softmusic Euphorie hervorzurufen. Außerdem ruft der technische Aufwand (die Bands reisen heute teilweise mit ganzen Kraftwerken herum) eine beeindruckende Atmosphäre hervor, die Jugendliche anlockt und zwar unter dem Motto: Mal sehen, was die Gruppe an Technik zu bieten hat!“
„Man kann Jugendliche nicht manipulieren“
Eine kleine Gruppe von sechs Leuten stand beim Konzert von Bachmann Turner Overdrive zusammen. „Warum seid ihr hierher gegangen?“ Oliver hatte die verblüffendste Antwort parat: „Ich bin hier, weil ich so ein Hochgefühl empfinde, wenn der Ordner meine Karte abreißt.“ Monika: „Ich bin mit meinem Freund mitgegangen. Er wollte die Gruppe sehen.“ Die anderen kamen auch, weil sie sich mit Monikas Freund treffen wollten. Weil er zu Bachmann Turner Overdrive ging, sind sie mitgegangen. Professor Silbennann erklärt dazu: „Das sind die sogenannten Peergruppen. Wenn man den Leiter einer solchen Gruppe dazu bringen kann, ein Konzert zu besuchen, dann bringt er soundsoviele Leute mit sich, selbst wenn diese dem Rock gar nicht emphatisch gegenüber stehen. Selten sieht man Konzertbesucher, die allein in ein Konzert gehen. Und wenn es nur zwei, ein Junge und seine Freundin, sind.“ Professor Silbennann hat recht. Wir haben keinen Besucher gefunden, der allein in ein Konzert gegangen war. In diesem Zusammenhang erschien Prof. Silbermann noch ein Faktor sehr wichtig: „Selbst bei diesen Peergruppen kann man eines nicht erreichen: Niemand wird aus dieser Gruppe zu einem Konzert gehen, das ihn absolut nicht interessiert. Jugendliche sind nicht manipulierbar, auch wenn es oft behauptet wird!“
Für wenig Geld viel Musik
Jugendliche haben nicht viel Geld. Was sie damit tun, überlegen sie sich genau. „Sie gehen ins Kino,“ sagt Professor Silbermann, „denn da sind sie zwei Stunden lang, ähnlich wie bei einem Rockkonzert, unbeobachtet.“ Ins Theater gehen Jugendliche nicht oder nur sehr selten, wie kürzlich eine von Prof. Silbermann und seinem Institut durchgeführte Untersuchung gezeigt hat. „Was soll ich im Theater, da muß ich mich den Zwängen der sogenannten „guten Gesellschaft“ unterwerfen, meint Herbert, „dann schon lieber ins Rockkonzert, denn das ist oft sogar billiger!“ Ökonomie spielt eine große Rolle für den Rockkonzertbesucher. Hans Werner Funke: „Der Eintritt zu einem Konzert sollte nie höher sein, als der Preis für eine LP. Reinfälle hat es genug gegeben. Nehmen Sie nur die Frank Sinatra-Tournee.“ 20,- DM kostet eine LP; für 20 Mark kann man sehr oft ein sogenanntes ‚klassisches Rockkonzert‘ besuchen. Ein bis zwei Tage lang mehr als zehn Gruppen live erleben. Werner findet den Preis angemessen, denn: „In einer Discothek brauche ich mehr als 20,- DM, um einen Abend zu verbringen, und es macht nur halb soviel Spaß.“ Klaus ist noch Schüler und bekommt 50 Mark Taschengeld im Monat, da sind 20 Mark zuviel: „Ich rauche und möchte mir ab und zu ein Bier leisten. Wenn so ein Konzert zu teuer ist, dann tu‘ ich mich mit ein paar Freunden zusammen und stürme. Heute hab‘ ich aber keinen Bock drauf. Die Ordner sind cleverer geworden. Die ahnen schon, wenn sich ein paar Leute zusammentun und die Decken fester packen. Da machen die gleich die Türen zu. Manchmal kommt man besser weg, wenn man einem Ordner 10 Mark gibt. Dann lassen die einen so rein.“
Rockkonzert – eine Modenschau?
Klaus trägt Schnürstiefel, Löckchen mit Henna gefärbt und ein indisches T-Shirt. „Trägst du sowas immer?“ „Nein, das hab ich nur an, wenn ich in ein Konzert gehe.“ Außer Klaus gibt es viele, die sogenannte Antimode, den Anti-Boutiquenlook, ausschließlich bei einem Konzert tragen. „Sonst tu’n es ein T-shirt und Jeans“, meint Klaus. Beim Konzert möchte er auffallen. Er möchte gesehen werden und sehen, was andere anziehen, um sich daran zu orientieren. Karin kommt nur ‚ aus diesem Grunde hierher: „Geh‘ ich in eine Boutique, dann können die mir viel erzählen, hier erfahre ich, was gerade in ist.“ Außerdem ist es für Karin ein irres Gefühl, von anderen wegen der Klamotten angestarrt und bewundert zu werden. Je mehr das Establishment die Antimode ablehnte, um so mehr wurde sie von den Jugendlichen befürwortet. Inzwischen hat sich das Establishment dazu hinreißen lassen, diese aus Geldknappheit entstandene Mode zu kultivieren. Vor Jahren bestimmte die Haute Couture, was getragen wurde. Heute sind die Rockkonzertbesucher zu Trendsettern geworden, deren Ideen die Boutiquen vermarkten.
Das Live-Erlebnis
„Wir wollen die Gruppen live sehen, beobachten, wie sie sich benehmen, was sie anziehen, hören, wie die Musik klingt.“ „Bei mir zu Hause darf ich den Verstärker nie voll aufdrehen, hier kann ich mal erleben, wie die Gruppe live bei voller Lautstärke klingt.“ Hans Werner Funke: „Das Fernsehen und auch der Rundfunk und ebenso die Platte können das echte Live-Erlebnis nicht ersetzen.“ Helmut sagt: „Ich geh‘ ins Konzert, weil ich die Musik bisher nur gehört habe. Jetzt will ich sie auch sehen.“ Sabine ist zum erstenmal in einem Konzert: „Die Atmosphäre ist fantastisch. Ich hätte nie geglaubt, daß eine Band so gut klingen kann. Besser als auf jeder Platte.“ „Unter den Jugendlichen, die die Live-Atmosphäre genießen wollen, befindet sich auch eine kleine Gruppe von ‚Hitsuchern‘. Sie warten bei ihrem Künstler nur darauf, daß er seinen großen Hit spielt. „Den ganzen Abend habe ich nur auf ‚You Ain’t Seen Nothing Yet‘ gewartet. Die anderen Stücke von Bachmann Turner Overdrive interessieren mich nicht!“ Das sagt Herbert. Bei den restlichen BTO-Songs war er draußen im Foyer zu finden.
Rockkonzert Freizeitausfüllung
Die meisten der befragten Jugendlichen ärgern sich immer wieder über das Freizeitangebot der Jugendämter, der Städte und Gemeinden. „Da spielt dann im Jugendheim eine lausige Band, und wenn du die Kippe auf dem Boden ausdrückst, mußt du Angst haben, daß sie dich „rausschmeißen.“ Außerdem ist in Jugendheimen nichts rechtes los. Die ‚Obrigkeit‘ hat für die Jugend geplant, und dieser Obrigkeit steht man nicht besonders freundlich gegenüber. „Da wirst du schief angeschaut, wenn du mit deiner Freundin „rumknutschst“.
Da fühlt man sich immer beobachtet!“ „Der Besuch in freien Häusern und Jugendheimen bringt kein Kollektivverhalten hervor“, meint Professor Silbermann und weiter: „Beim Rockkonzert haben sie ein unbeobachtetes Kollektivverhalten. Unbeobachtet von Seiten des einzelnen. Da kann der Jugendliche schreien, toben, machen, was er will und geht dabei im Kollektiv unter. Es ist niemand da, der ihm vorwirft, ‚du benimmst dich heute aber wieder einmal entsetzlich‘. Er kann pfeifen und schreien, so laut er will, was er am Arbeitsplatz und zu Hause nicht kann. Seine Individualität verschwindet in gewissem Maße in dieser Masse der Menschen, die ein Rockkonzert besuchen.
Das Fazit
Bei Untersuchungen unterschiedlicher Art über Jugendliche konnte man sich oft des Gefühls nicht erwehren, sie seien sehr subjektiv angestellt und unter dem Zwang gemacht, Jugendliche über den berühmten Kamm scheren zu wollen. In dieser Untersuchung über Rockkonzertbesucher und deren Motive, ein Festival aufzusuchen, hat sich eines klar herausgestellt: Jeder Jugendliche hat sein ureigenes Motiv, eventuell gepaart mit einem zweiten oder dritten. Jugendliche haben individuelle Bedürfnisse, die sie auch individuell verschieden befriedigen! Die Motive sind so vielfältig, daß sie nicht an einer Hand abzählbar sind, und Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen sind oft, gerade was Rockkonzerte betrifft, und das ließe sich sicherlich auch auf andere Gebiete übertragen, keineswegs so gleichgepolt, wie so oft angenommen wird!