Sie war die erfolgreichste Sängerin der 70er: Was wurde eigentlich aus… Linda Ronstadt?
100 Millionen verkaufte Tonträger, zwölf Grammys, Dutzende Top-10-Hits in den USA: Linda Ronstadt ist die erfolgreichste Sängerin der 70er-Jahre – und die erste, die Arenen füllte. Trotzdem erlebte die Ex-Verlobte von George Lucas in den 80er-Jahren einen fiesen Karriereknick und verdingte sich fortan als Sängerin in Broadwaymusicals und als Jazz-Chanteuse. 2011 ging sie frustriert in Rente – ein Jahr später wurde bei ihr Parkinson festgestellt.
ME: Linda, wie geht es dir?
Linda Ronstadt: Ich langweile mich zu Tode! Im Ernst, ich würde wahnsinnig gern wieder Musik machen, aber ich kann nicht. Ich kriege keinen vernünftigen Ton raus. Ich habe keinen Einfluss mehr auf das, was aus meinem Mund kommt, und das ist eine ganz schlimme Erfahrung, die ich niemandem wünsche. Natürlich tut es weh zu sehen, dass meine alten Kollegen nach wie vor auf Tour sind und einen Wahnsinnsspaß haben, während ich zu Hause sitze und nur noch vor mich hindämmere.
Ist es so schlimm?
Es ist die Hölle! Ich habe mein ganzes Leben extrem gesund gelebt: Sport gemacht, mich bewusst ernährt, keine harten Drogen genommen. Trotzdem hat es mich erwischt. Und da denke ich mir: Warum war ich nur immer so zurückhaltend? Warum habe ich nicht mehr Gas geben?
Gelegenheiten muss es genug gegeben haben, schließlich warst du früher mit den Doors, den Eagles, Frank Zappa, Gram Parsons und den Stones unterwegs.
Ich hätte den größten Spaß der Welt haben können, keine Frage! Aber ich hatte auch so ein paar tolle Jahre.
Warum hat sich dein Erfolg in den USA eigentlich nie auf den Rest der Welt übertragen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich zu amerikanisch, vielleicht habe ich auch nicht genug Energie und Zeit in Europa investiert – was ich im Nachhinein sehr bedauere, gerade was Deutschland betrifft. Aber ich war jung und naiv. Ich wollte da sein, wo ich das größte Publikum hatte. Und das war zu Hause.
Zu Hause ist heute wo?
In San Francisco – schon seit vielen Jahren. Eine wunderbare Stadt mit unglaublich liberalen, offenen Menschen. Ganz im Gegensatz zum Rest des Landes, wo die Leute extrem konservativ sind, um es vorsichtig zu formulieren. Ich verfolge mit Schrecken, wie sich dieses Land entwickelt, dass es zurück in die 50er tendiert. Als hätte es die Bürgerrechtsbewegung, die Gegenkultur und Vietnam nie gegeben. Alles, wofür ich in meiner Jugend gekämpft habe, löst sich langsam in Luft auf.Was kann man dagegen tun?
Songs schreiben, Konzerte geben, lautstark demonstrieren! Ich bin ein wenig schockiert, dass meine Zeitgenossen das nicht tun. Entweder sind sie müde geworden, oder sie verstehen den Ernst der Lage nicht.
Was denkst du über die beiden Trio-Alben, die vor Kurzem neu aufgelegt wurden – also die Kollaboration zwischen Dolly Parton, Emmylou Harris und dir?
Ich halte sie für das Beste, was ich je gemacht habe. Ein Spaßprojekt mit zwei Freundinnen, das wunderbar war und bei dem alles gestimmt hat. Ich bin wahnsinnig stolz auf diese Alben!
Und warum habt ihr dann nicht noch mehr aufgenommen?
Das zeigt, wie verrückt das Musikgeschäft war und vielleicht immer noch ist: Das Debüt von 1987 hat vier Millionen Exemplare verkauft und wurde mit zwei Grammys ausgezeichnet. Da war für uns eigentlich klar, dass wir eine Goldmine entdeckt hatten und weitere Alben aufnehmen mussten. Nur: Wir hatten drei verschiedene Manager und drei verschiedene Plattenfirmen, und die waren sich so gar nicht grün. Was bedeutete, dass sie alles Weitere blockiert haben – ein bisschen wie bei Obama und den Republikanern.
Ein drittes Album stand nicht mehr zur Debatte?
Nein, weil das Projekt seinen Reiz verloren hatte – was verdammt schade ist. Ich höre die Stücke immer noch gern. Aber das ist nur eine von vielen verpassten Chancen in meinem Leben. Insofern kann ich allen, die das hier lesen, nur sagen: Lasst euch nichts vorschreiben und genießt das Leben in vollen Zügen – solange ihr könnt!
Dieses Interview ist zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 01/2017 erschienen.