Wayne Country


Supermini, schwarzer Spitzenbesatz am rosafarbenen Seidenhöschen und ein wenig molliger durch Hormonspritzen - so wird sich Wayne County im März bei fünf Gigs ihren deutschen Fans vorstellen. Mit Ray Bonici tratschte sie vorher ein wenig über Kindheit, Warhol, Bowie und die neue LP der Electric Chairs .....

Andere Kinder spielten Cowboy und Indianer. Wayne verkleidete sich als Pharao, Cäsar oder (Cleopatra. Später, als Transsexuelle(n), hieß man ihn Witzfigur oder anormal. Man erklärte ihn für verrückt, weil er andere Leute mit Hundefutter bewarf, sie mit der Wasserpistole naßspritzte oder auf der Bühne einfach aus den Kleidern stieg. Aber all dies diente nur einem Zweck. Mit diesen oft recht drastischen Illustrationen seiner Songs wollte er dem Publikum nur klarmachen, daß Transsexuelle, Schwule oder Ausgestoßene immer noch menschliche Wesen sind und einen Anspruch auf die Rechte und Freiheiten unserer Gesellschaft besitzen.

Zur Zeit ist Wayne County auf dem Wege, endgültig eine Frau zu werden. Die Behandlung dauert insgesamt zwei Jahre; die Hormonkur hat er bereits hinter sich. Schon als Kind hatte Wayne das Gefühl, „im falschen Körper zu wohnen“. Die zweite Hälfte ihres Lebens will sie nun als Frau meistern. Von den Fans erhielt sie jedenfalls moralische Unterstützung.

Seitdem Wayne County zu Beginn der New Wave nach London kam, wuchs ihr Erfolg enorm. Jahrelang ein Geheimtip, zieht sie nun ein großes, durchaus gemischtes Publikum an und verkauft tausende von Platten. Ihre bekannteste Single, ,,Fuck Off“, verkaufte sich ohne Rundfunkeinsatz 30.000 mal. Bei ihrer neuen Schallplattenfirma, Safari (deren Boß übrigens der ehemalige Manager von Purple Records, Tony Edwards, ist und die nur eine Handvoll Interpreten unter Vertrag hat), bekommt sie jede mögliche Unterstützung.

Im hinterwäldlerischen US-Staat Georgia, wo sich absolut nichts abspielte, hatte Wayne sich schon als Kind auf Exotisches versteift: „Ich beschäftige mich viel mit alter Geschichte: am meisten interessierte mich Babylon. Ich zog mir dann diese Gewänder an und rannte so durch die Nachbarschaft. Die Leute dachten natürlich, ich hätte sie nicht mehr alle. Ich hatte – wie man so sagt – eine schöne Kindheit. Meine Familie war sehr religiös, aber mich hat das so angeödet, daß ich ziemlich aufsässig wurde und in der Sonntagsschule immer für Ärger sorgte. Ich fragte die Lehrer zum Beispiel, welcher Unterschied darin bestünde, Gott, Hermes oder Aphrodite anzubeten. Die sind natürlich alle durchgedreht. Darum habe ich jenen Göttern Altäre gebaut. Ich war eben der Meinung, die verdienten genausoviel Achtung wie die christlichen Religionen. Mich fasziniert dies Problem noch immer.“

Von Dallas ging Wayne County nach Atlanta und suchte sich dort seine Freunde in der Boheme, unter Transsexuellen, in Schwulen-Bars. „Ich hing immer mit den Ausgestoßenen zusammen, wie es so schön heißt. Ich fand sie weitaus interessanter. Die Leute nennen sie Ausgestoßene, weil sie sie selbst verbannt haben – kein anderer! Das ist doch die alte Sache. Die Leute zwingen dir Schuldgefühle auf, indem sie Begriffe wie anormal oder pervertiert bringen. Was soll’s. In Atlanta habe ich jedenfalls angefangen, Geld mit Imitationen von Janis Joplin oder Sonny & Cher zu verdienen. Ich hab mich wie Janis angezogen, sang „Piece Of My Heart“ und brachte auch exakt ihre Bewegungen. Ich liebte Janis, während die anderen Transsexuellen meistens Diana Ross oder Barbra Streisand imitierten.“

Wayne wagte sich in Atlanta selten aus dem Bereich der Beatnik-Szene heraus. Einmal schoß ein redneck auf ihn, ein andermal fielen ein paar Heterosexuelle über ihn her. Er verließ bald darauf Georgia und zog nach New York. Wayne hatte übrigens noch nie ein Gefühl für Länder oder Nationalitäten: ein Kind des Planeten Erde!

Um ihren Einstieg in die New Yorker Szene macht Wayne keinen Hehl. „Man wirft mir vor, daß ich in meinen Interviews so freimütig bin, aber ich mache mir nichts daraus, weil ich mich für nichts schäme, was ich getan habe. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes eine Prostituierte. Ich hatte kein Geld, als ich nach New York kam. Ich hatte niemals, daran gedacht, meinen Körper zu verkaufen, aber das war das erste, was ich tat! Aber ich hatte Glück. Gleich in der ersten Nacht fand ich jemanden, zu dem ich ziehen konnte. Der besorgte mir dann einen Job, so daß ich schließlich allein weiterkommen konnte. Also bin ich nicht sehr lange auf den Strich gegangen… Ich meine, daß die meisten Leute, die Rock’n’Roll spielen, sich irgendwie durchbringen müssen. Ich habe es eben so gemacht.“

Im berühmten New Yorker Club „Max’s Kansas City“ bediente Wayne das Publikum zwischen den Auftritten der Bands mit den – wie er fand – besten Rock’n’Roll-Platten. Die Leute dort inspirierten ihn. Er traf Cherry Vanilla, Patti Smith, Andy Warhol und David Bowie. Wayne erkannte seine große Chance, endlich ins Avantgarde-Theater einsteigen zu können. „Es begann wirklich alles bei Max’s. Ich machte in ‚Femme Fatale‘ mit. Dies war ursprünglich ein Song von Velvet Underground, und Jackie Curtis, einer der Warhol-Transvestiten, schrieb dieses Stück drumherum. Es handelte von einem Frauengefängnis, und ich spielte eine Lesbierin. Patti Smith spielte einen Gangster und Cherry Vanilla eine Krankenschwester.“ Eigentlich, entsinnt sich Wayne, hätten damals alle nichts anderes gemacht als heute: „Patti hat eigentlich nur noch ihre Musik hinzugefügt.“

Mit Warhol machte ihn schließlich Jackie Curtis bekannt. „Er sah sich das Stück an und fand mich komisch und witzig; er mochte mich. Daraufhin erhielt ich eine Rolle in seinem Theaterstück Pork'“.

Pork“, später auch im Londoner Roundhouse aufgeführt, wurde dort anders aufgenommen als in New York. „Es hat in England einige sehr schlechte Kritiken bekommen: Männer und Frauen nackt auf der Bühne, dazu eine Sprache, mit der die Engländer nie zuvor in ihrem Leben konfrontiert worden sind. New Yorker Gassenjargon, weißt du? Wir waren schockiert, weil das Publikum schockiert war. Dann kamen die Typen vom GLC (Greater London Council, verantwortlich für Ordnung von der Kanalisation bis hin zur Wahrung der guten Sitten. Die Red.) Für die mußten wir eine Test-Aufführung geben und daraufhin einiges rausnehmen. Aber eine Woche später hatten wir schon wieder alles drin.“

Damals gehörte Wayne zu David Bowie’s MainMan-Management. Das war genau die Zeit, als Cherry Vanilla PR für den duke machte.Wayne versichert jedoch, nie für Bowie gearbeitet zu haben, obwohl viele das annahmen. „Ich war eben einer von vielen Künstlern. Sie haben nie irgendetwas mit mir gemacht…. ich glaube, sie wußten auch gar nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Ich meine, sie hielten mich als Renommier-Transvestiten, weil es unheimlich hip war. Bowie brauchte diese Leute um sich herum; so nach dem Motto: ‚Oh, was bin ich nur für ein Freak! Ha! Ha! Seht euch nur meine Freunde an, sie sind so ausgeflippt.‘ Und alles nur, weil er so konservativ ist. Prrr! Er braucht Freaks um sich herum.“

Zurück auf New Yorks Straßen, suchte sich Wayne Musiker für eine eigene Band, die er nach einem Supertransvestiten „Queen Elisabeth“ nannte. Allerdings meint er: „Damals habe ich mich noch nicht so sehr um die Musik gekümmert, das habe ich der Band überlassen.“ Wayne’s nächste Gruppe, die Back Street Boys, bildeten dann schon den Grundstein zu seiner heutigen Band mit Greg Van Cook, dem ersten Gitarristen der Electric Chairs. Die Gruppe nahm eine LP Tut ESP-Records auf; allerdings ging die Firma pleite, bevor die Platte veröffentlicht wurde.

Da die Back Street Boys in den Staaten auf keinen grünen Zweig kamen, ging Wayne zusammen mit Greg nach England. Das war Anfang 1977. Auf die Schnelle suchten sie sich einige Musiker und spielten im bekanntesten Londoner Punk-Treff, dem Roxy-Club.So wurden die Electric Chairs geboren (Wayne, Greg, Val Haller, b; J.J.Johnson, dr; Henry Padovani, rg). Sie spielten „Fuck Off“ neu ein, nahmen ,,Eddie & Sheena“ auf – die Story vom Teddyboy, der sich in ein Punk-Mädchen verknallt – und eine erste LP: „The Electric Chairs“. Bei den Aufnahmen zu ihrer zweiten LP „Storni The Gates Of Heaven“ war anstelle von Greg Van Cook schon Elliot Michaels dabei. „Ich habe ihm hundertmal eine letzte Chance gegeben, aber es lief nicht mehr.“ Seitdem Greg fort ist, geht es in der Band auch kooperativer zu. Schon bei der nächsten LP soll man es hören. „Das neue Album wird die gesamte Band repräsentieren.“

In jüngster Zeit wurde Wayne von einigen Seiten angeschossen: seine Doppelbödigkeit lasse nach und seine Witze seien mittlerweile hohl. „Wir haben so ein größeres Publikum gewonnen. Was soll’s wenn wir ein paar Kritiker verlieren. Die Kids sind wichtiger.“

Für „Storm The Gates Of Heaven“ hatte Wayne mit „Mr. Normal“ oder „Man Enough To Be A Woman“ älteres Material mit den Chairs neu eingespielt. Nur war es dem Produzenten Martin Birch nicht gelungen, den rohen Livesound nachzuvollziehen, den die Band normalerweise auf der Bühne bringt. „Das hat er nicht gebracht! Er hat uns für ’ne Rockband gehalten, und genauso machte er den Sound. Er ist unheimlich konservativ. Ich hasse ihn. Die zweite LP hätte wirklich besser geklungen, wenn die Produktion nach unseren Wünschen gelaufen wäre. Wir wollen sowieso weg vom sogenannten Rocksound. Das dritte Album wird völlig unrock; mit stärkerem Livesound, mehr Rock’n’Roll, schneller; kaum noch Riffs, dafür aber mehr Akkorde. Bei einigen Titeln werden wir Piano, Orgel und Saxophon einfügen. Das Material soll noch satirischer werden. Du siehst, wenn die Leute glauben, daß ich seriöser werde, schlage ich mich wieder auf die humorvolle Seite; auch mit schlüpfrigen Sachen.“

Wie sieht’s denn mit einem neuen Produzenten aus? „Martin Rushent ist interessiert, der die Stranglers produzierte, oder Mike Thorne, der Mann hinter Wire. Wir suchen einen kreativen Mann, der uns hilft, den Sound aufzubauen, anstatt ihn zuzuschmieren. Die nächste LP wird darum mehr in Richtung Doors oder Nuggets gehen; beeinflußt von den frühen psychedelischen Hippie-Gruppen wie Country Joe And The Fish. Das geht wirklich, weil wir völlig neu an die Songs herangehen; so etwa nach dem Motto „Flower Power Meets New Wave“. Das wird unser bestes, unser interessantestes Album. Wir haben eine neue Version von „Wonder Woman“ und anderes Material, das die anderen LPs weit in den Schatten stellt. Wenn die Produktion nicht gut läuft, mache ich das Album nicht, weil die Songs zu gut sind, um einfach verbraten zu werden.“

Wird sich im Laufe der Geschlechtsumwandlung Wayne’s Musik noch weiterhin ändern? „Es ist möglich, aber sie hat sich bereits geändert. Ich plane sowieso ein Solo-Album, bei dem ich mit anderen Musikern arbeiten werde‘-und bei dem ich auch Gospel und Rockabilly machen will. Meine Stimme wird sich nicht verändern, aber ich habe bereits verschiedene andere Stimmen, bei denen niemand ahnen wird, daß ich es bin.“

Wayne’s Geschlechtsumwandlung stellt natürlich jeden vor die leidige Frage, wie spreche ich ihn/sie an? „Ist mir völlig egal,“ meint Wayne. „Es gab bereits Kritiker, die die weibliche Form benutzten. Für den Rock’n’Roll spielt es keine Rolle. Mich interessiert es nicht, wie sie mich nennen, von mir aus er, sie, es ….. nenn mich Pavian!“