Wie nah liegt Genie an genieren? Offenbar kennt The Artist keine Scham und führt plötzlich wieder einen „Prince“ ein


Verwirrung. Wie so oft bei diesem Mann. Bei der Release Party zum neuen Album „Rave Un 2 The Joy Fantastic“ erzählt The Artist ganz beiläufig, daß er für diese CD mit seinem Lieblingsproduzenten zusammengearbeitet hat. Und der heißt, verdammt nochmal, Prince. Nach all dem Victor-, TAFKAP-, Christopher- und Weißgottwasnoch-Theater taucht ausgerechnet „Prince“, das verworfene Ego, wieder in den Credits auf? „Ich bin zu meiner alten Produktionsweise zurückgekehrt und habe mich wieder mehr auf den Ausdruck von Spiritualität konzentriert, den du aus einem Instrument rausholen kannst. Als Produzent Prince habe ich früher so gearbeitet. Ich habe mehr mit dem jeweiligen Instrument kommuniziert. Doch der Mensch und Popstar Prince existiert nicht mehr. Das habe ich begriffen, als ich mich Anfang des Jahres zurückgezogen habe, um ein paar Monate ganz in Stille zu leben.“ Ach sooo. Vielleicht müßten auch wir eine Weile ein Eremitendasein fristen, um das nachzuvollziehen. Einer eigenen Logik folgen auch die Geschäftspraktiken des Kleinen, die Plattenfirma Arista jedenfalls versucht nun, The Artist Der Gern Auch Mal Wieder Prince Heißt in den Griff zu bekommen. Er ist der Prototyp des eigensinnigen und genialen Künstlers, der erschafft, wann und wie auch immer ihn die Muse küßt. Zudem hat er sich mit seinem eigenen Label NPG Records ein geschäftliches Instrumentarium geschaffen, das ihn von großen Labels oder Vertrieben unabhängig machen soll. Über seine eigene Webseite verkaufte er nach der theatralischen Trennung von Wamer Music sein Fünf-CD-Set „Crystal Balls“ angeblich weltweit über zweihundertfünfzigtausend mal. Angeblich, doch warum begibt er sich dann jetzt wieder in neue Abhängigkeiten mit Arista? Auf Vertragsabschlüsse reagiert der Künstler bekanntlich sehr sensibel und flüchtet sich lieber in religiösen Mystizismus: „Ich habe einen Vertrag mit Gott. Lind der ist in meinem Herzen. Irdische Verträge bestehen aus Klauseln, denen du nicht trauen kannst. Das habe ich aus meiner Zeit mit Warner gelernt. Heute gehöre ich zu den ganz wenigen Musikern, die ihre Masterbänder selbst besitzen.“ Eine Manie, die den Künstler so manches vergessen läßt. Denn immerhin waren es die Manager von Warner, die Prince 1978 einen Vertrag über sechs Alben bei völliger künstlerischer Freiheit anboten. Prince war damals keine zwanzig und unter den schwarzen Musikern neben Stevie Wonder der einzige, dem in so jungen lahren derartige Avancen gemacht wurden. Im Augenblick erscheint es eher so, als ob der Künstler seine Vertragsparanoia und religiösen Visionen nutzt, um sich aus der Veratwortung zu stehlen. Denn auch die Aufhebung seines Ehevertrages mit Mayte begründet er kryptisch: „Ich habe sie überzeugt, daß unsere Liebe nicht durch die Buchstaben auf dem Papier besteht, sondern vor Gott. Was immer das bedeutet, Mayte jedenfalls weilt derzeit nicht an seiner Seite. „Sie lebt in Spanien und arbeitet an einer eigenen Femsehshow“, läßt er durchblicken. Doch für den Künstler, der seinen weltlichen Namen Nelson vor Jahren abgelegt hat, liegt die Wahrheit ohnehin woanders: „In der Bibel steht, daß Adam sich schlafen gelegt hat. Aber nirgendwo, daß er wieder aufgewacht ist. Was also, wenn wir alle nur in seinem Traum leben? Ich meine, sieh dir die ganzen Kriege auf der Welt die Morde und Naturkatastrophen an. Das kann doch nicht Gottes Welt sein. Ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit der Bibel beschäftigt. Und die sagt mir, daß das nicht das wahre Leben ist. Die Wahrheit liegt verschüttet in unseren Herzen. Wenn die Welt im lahr Zweitausend untergeht, dann sind wir Menschen selber Schuld. Aber ich und meine Freunde sind vorbereitet. Wir werden in einem großen Tanz von dieser dämonischen Bühne abtreten.“ Doch wie einst der Hirtengott Pan die Kraft seiner landen durch die Entmythologisierung der Welt verloren hat, so folgen auch dem Pop-Olympier immer weniger seiner Anhänger bedingungslos auf seiner „Raspberry Parade“.