Wolfgang Niedeckens BAP
Nachdem es bei der Zeltinger Band kracht und bröckelt, ist in Köln Eines so sicher wie das Amen im Dom: Wolfgang Niedeken alias BAP ist Kölns neue Nummer Eins. Grund genug für den ME, seinen Redaktions-Kölschen zu Nachforschungen in die traute Heimat zu schicken.
Der flotte BMW von BAP-Produzent Jürgen schlängelt sich durch immer schmaler werdende Sträßchen in die rheinische Wildnis. Auf der Fahrt erzählt er mir, wie toll die Jungs von BAP doch seien: „Für die bin ich schon ein weiteres Bandmitglied. Ehrlich, die Arbeit mit denen hat Spaß gemacht wie lange nichts mehr. „Abwarten“, denke ich denn hyperpositive Sprüche gibt‘ s in diesem Business mehr als genug.
Wir kommen in ein Winznest namens Wippenhohn, Jürgen lenkt seinen Sechszylinder in einen Bauernhof und behauptet, wir seien da. Tatsächlich! Hinter dem Bauernhof verbirgt sich ein modernes Plattenstudio, in dem BAP heute die letzten Abmischungen für ihre dritte LP FÜR USSZESCHNIGGE (zum Ausschneiden) fertigstellen wollen. Ich werde der Band vorgestellt und verspüre erst einmal eine kräftige Portion Skepsis. „Da kommt einer mit superchicen Schühchen und Lederjacke aus Hamburg und macht hier auf Kölsch, um sich einzuschmeicheln“ scheint das Vorurteil einiger Bandmitglieder zu sein. Mir fällt Niedekens „Wat Ess?“ ein ein Song, mit dem BAP allen schleimigen Rockjournalisten (Oh ja, die gibt’s) kräftig eins auswischen. Wir einigen uns darauf, das Interview zu machen, nachdem das Abmischen abgeschlossen ist und alle zum ersten Mal das fertige Produkt gehört haben. „Gut“, denke ich, „genug Zeit, um ihnen zu zeigen, daß ich auch nur ein Typ bin, der täglich mindestens einmal scheißen muß.“ Nachdem wir Nachmittag und Abend gemeinsam verbracht haben, wird mir wieder einmal klar, daß man vor jedem Interview versuchen sollte, einen persönlichen Kontakt herzustellen. Denn: Die Stimmung stimmt.
Ins Rollen kam der BAP-Stein, als der ehemalige Kunststudent Wolfgang Niedeken, von seinen Fans und Freunden liebevoll „Südstadt-Dylan“ genannt, in der Köln-Mülheimer Stadthalle im Vorprogramm der Schmetterlinge seine witzigen und scharfsinnigen Songs zur Klampfe vortrug. Da in Köln eigentlich immer eine Nachfrage nach spritzigem Humor besteht, konnte es nicht verwundern, daß Niedeken beim Publikum gut ankam. Und weil viele Leute den Wunsch äußerten, sich seine Ergüsse auch in der heimischen Stube anzuhören, beschloß man spontan, eine Platte aufzunehmen. Freunde wurden zu einer Band zusammengetrommelt, ein
Deal mit dem Alternativ-Label Eigelstein abgeschlossen – und im „Studio am Dom“ entstand unter absoluten Amateurbedingungen 1979 ROCKT ANDERE KÖLSCHE LEEDER. Als der Anklang beim Publikum immer größer und die Band zum Fulltime-Job wurde, stiegen die Musiker aus, denen ihr Job/Studium wichtiger war. Von der ersten Formation geblieben sind neben Niedeken (Gesang + Gitarre) die Brüder Wolfgang „Wolli“ (Schlagzeug) und Manfred „Schmal“ Boeker (Perkussion + Gesang). Den beiden Kunststudenten Niedeken und Schmal fiel die Entscheidung am leichtesten: „Ob wir nun mit Malen oder Musik kein Geld verdienten, war eigentlich egal!“
Neu in die Band kamen Steve Borg am Baß und Klaus Heuser alias Major Healy (Gitarre + Gesang), den Wolfgang beim Pinkeln traf und der heute zu fast allen Stücken die Musik schreibt. Genau ein Jahr später nahmen sie in dieser Besetzung in der Schweiz die LP AFFJETAUT auf.
Nach der zweiten Platte ging es, so Wolfgang, „richtig ab“. Sie mußten erstaunt feststellen: „Huch! Wir sind Profis.“ Nicht so ganz professionell hingegen lief wohl der Plattenvertrieb außerhalb von Köln. Unter der Bedingung, daß im kreativen Bereich alles weiter von der Band entschieden wird, wechselte man zum neuen EMI-Label Musikant. Neben dem fest zur Band gehördenen Mixer Hans Wollrath war inzwischen auch ein Keyboardspieler namens Alexander „Tschai-kä-go“-Büchel (Karategürtel) zur Gruppe gestoßen. Die Aufnahmen zur dritten LP FÜR USSZESCHN1GGE konnten beginnen.
Heute ist sie fertig. Eine Platte, wie ihre beiden Vorgänger jenseits aller Wellen, voller verschiedener Einflüsse und – wohl das Wichtigste – mit zehn neuen Texten von Wolfgang Niedeken. Musikalisch geht es auf FÜR USSZESCHNIGGE ziemlich quer-Beet zu. Schmal: „Wir suchen uns halt die Art Musik aus, die gerade am besten zu Wolfgangs Texten paßt.“
Und bei diesen Texten hat sich einiges verändert. Im Gegensatz zu früheren Songs ist Niedeken persönlicher geworden – allgemeine Themen sind eigenen Empfindungen gewichen. Wolfgang: “ Wir wollen uns jetzt mit der dritten Platte nicht festlegen lassen. Das heißt, so eine Art Guru-Band zu werden, die Lösungen bereit hat, die einen Vorbildcharakter hat, die um jeden Preis gute Stimmung verbreiten muß. Teilweise wirst du da ganz schön reingedrückt. Wir wollen uns bemühen, nichts zu machen, wozu wir keine Lust haben.“
Genau das ist auch das Thema einer der besten Texte auf der LP, betitelt „Ens Em Vertraue“: „Ich will um keine Preis da Hofnarr sinn, da jejen Bares Schwachsinn sing … “ Wie mir Wolfgang später verrät, stecken auch noch andere Gründe hinter den textlichen Veränderungen. Seit einiger Zeit lebt er glücklich mit einer Frau zusammen und hängt nicht mehr jeden Abend im Clodwig-eck am Tresen. Überhaupt ist dieser Mann nicht unbedingt der Typ, für den man ihn beim ersten Treffen halten kann. Hinter der rauhkölschen Schale, die man auch auf der Bühne zu sehen bekommt, steckt der sprichwörtliche weiche Kern. Privat ist er eher ruhig und nachdenklich, doch – wenn’s nöüg ist auch offen und geradeheraus.
Innerhalb der Band gibt es einen bestimmten Faktor: Freundschaft. Die Gruppe ist, so Schmal, gewachsen – es herrschen, so Wolfgang, gute Vibrationen. Stimmt! Konkurrenzdenken oder ähnliche Linkereien kann man sich bei ihnen überhaupt nicht vorstellen.
Einer Band, die kölsch singt („Wären wir Londoner, würden wir cockney singen“) muß man, um eventuelle Verwechslungen zu vermeiden, unbedingt auch folgende Frage stellen: Wie steht ihr zum Karneval? Wolfgang:
„Diese aufgesetzte Scheiße, auf Befehl lustig zu sein, machen wir nicht mit. Wir sind dann lustig, wenn wir es wollen. Auch wenn das zufällig morgens früh um neun am Aschermittwoch ist, ziehen wir uns dann die Pappnase an. Obwohl wir eigentlich in der Regel keine Pappnasen anziehen – wenn schon, dann goldene Nasen!“ Großes Gelächter. „Du siehst auf einmal Leute, die würden dich, wenn du ohne Krawatte in ihr Wohnzimmer kämst, sofort rausschmeißen. Die gleichen Leute fallen dir dann plötzlich um den Hals und erzählen dir unheimlich einen. Nee, nee nicht mit mir.“ Ein alter, nicht mehr ganz weißer 200er Diesel rauscht durch die Nacht über die Autobahn Bonn-Köln in Richtung Chlodwigeck. Im Auto sitzen Wolfgang, Wolli und ich. Wir unterhalten und so angeregt, daß wir trotz fast leeren Tanks die einzige offene Tankstelle verpassen. „Jürgen hatte verdammt recht“, denke ich, „die Jungs sind schwer in Ordnung.“