Zwischen den Zuständen


Kante haben ein Album namens zombi aufgenommen, was sie an den Rand ihrer Kräfte brachte. Es geht um Niedergang und Neubeginn, um ein Abbild unserer Zeit. Und um einen Videodreh.

Kein Mensch auf der Karl-Liebknecht-Straße in Dresden-Hellerau. Die Einfamilienhäuser mit ihren Vorgärten wirken unecht, wie sorgfältig von Modelleisenbahnern aufgeklebt. Neben dem Haus mit der Nummer 54 endet die strenge Pittoreske, wuchern Büsche und Bäume. Eine kleine Straße führt durch das Grün, vorbei an einem verfallenen Pförtnerhäuschen auf einen Platz, an dessen Ende ein überraschend mächtiges Gebäude steht: das Festspielhaus Hellerau. Die Glastüren zwischen den vier rechteckigen Säulen sind blank geputzt, die Aula dahinter ist neu. Rechts und links führen Treppen in die zwei Flügel des schmucklosen, streng durchkomponierten Baus. Hinter diesen Treppen wohnt der Zerfall. In Böden und Wänden Löcher, Schutt und Schrott liegt in den Ecken, es riecht nach feuchtem Dreck. In einem Raum stehtThomas Leboeg von Kante und streift sich fünf Pullover über, einen weißen Overall und setzt sich einen Helm auf. Die Kamera surrt.

Das Festspielhaus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als Herzstück der Gartenstadt Hellerau erbaut, als „Kathedrale der Zukunft“. Für ein paar Jahre lebten hier Künstler und Kunst geschah, die anders war. Dann kamen die Nazis, der Krieg und hernach die Russen. Das Gebäude mit seinen vorgelagerten Pensionshäusern war den Faschisten Polizeischule und den Kommunisten Kaserne. Seit dem Mauerfall wird in kleinen Schritten saniert.

Heute wird nicht saniert, heute dreht hier die Hamburger Musikgruppe Kante ihr nächstes Video. Das zu verfilmende Lied heißt „Zombi“ und ist das Titelstück des neuen Albums. Und was für ein Album das geworden ist! Ein atemraubendes Werk, ein Opus über Niedergang und Neubeginn, eine unfassbar schön komponierte Elegie über den Zustand unserer Zeit. Man will nichts anderes mehr hören. Es ist wie ein Rausch.

„Da wo es Morgen wird//Wo die Schatten sich verjüngen .. .//Wo wir den Regen kommen fühlen.. .//Wo uns die Stille in den Ohren liegt …// Wo wir den Rand der Welt berühren…// Da will ich bei dir sein „(„Wo die Flüsse singen“) zombi, das unter größten Anstrengungen entstandene dritte Kante-Werk, beginnt mit einer sanften Overtüre, mit schwebenden Tönen, einem Gleiten gleich. Es legt sich um des Hörers Gemüt, nimmt gefangen, benebelt. Es ist, als hätten Kante eine eigene Musik erschaffen. Und die kann man schwer beschreiben. ZOM-BI ist das, was entsteht, wenn sich Musiker auf die Suche begeben und Welten finden. Man mag Free-Jazz-Einflüsse raushören, da ist Elektronika, dort eine Art Rockmusik, dann feiner Pop – aber das alles bleibt Ahnung im instrumentalen Reichtum dieser Platte. Diese eine Stunde Musik ist ein Ineinanderweben, ein musikalisches Modellieren, ein Streben nach neuen Formen.

Zuweilen gleitet ein Lied einfach weg und kommt nach Minuten in fremden Sphären zurück. Oft singt niemand, ist die Musik pure Klangwek, Malen mit Tönen. Und dann wieder ist da eine Melodie, ein Refrain, der sich festsetzt. In diesem Spiel zwischen Abgleiten und Griffigkeit, zwischen Avantgarde und Pop lebt dieses Album, wie überhaupt die Spannung dieses Albums zwischen den Gegensätzlichkeiten entsteht, zwischen Resignation und Hoffnung, Licht und Schatten, Leben und Tod. zombi ist eine Markierung, ein Meilenstein. So was nimmt man nicht einfach mal so auf, für so was wird geblutet.

Eineinhalb Jahre haben Kante und ihr Produzent Tobias Levin an diesem dritten Album gearbeitet, ein Prozess vergleichbar mit der letzten Reisedes Christoph Columbus, nur haben diese Entdecker überlebt. Fragt man die Expeditionsteilnehmer nach ihren Erlebnissen, ringen sie um Worte. „Das alles hätte auch anders werden können, ganz anders“, sagt Thomas Leboeg, der Mann an den Tasten, und verstummt. Sänger und Gitarrist Peter Thiessen überlegt lange und sagt dann: „Ich höre Geister in der Musik. Das sind die verschiedenen Möglichkeiten. Im Studio war es oft so, dass wir eine scheinbar fertige Version eines Liedes hatten. Und dann schleppte jemand wieder etwas an, was das Stück total umdrehte. Ein irrer Prozess.“

Fragt man den Produzenten Tobias Levin (der schon Tocotronic produzierte und Surrogat und Knarf Rellöm und noch mehr, und früher in der hervorragenden Band Cpt. Kirk spielte), lacht der nur kurz auf, sagt: „Ich kann darüber nicht so einfach reden. Das war alles Wahnsinn!“ -und ruft eine Stunde später noch einmal zurück und sagt da ins Telefon: „Niemand war auf das was passiert ist innerlich vorbereitet. Es war, als hätten wir auf einem Schiff den Hafen verlassen, während uns alle freundlich hinterher winkten. Da draußen hatten wir monatelang unsere Ruhe, wir waren komplett allein. Doch dann, nach anderthalb Jahren, wurdees wahnsinnig schwer, den riesigen Kahnzurück in den Hafen zu kriegen. Wir waren sehr unangenehmen Belastungen ausgesetzt, denn alles Nötige wurde knapp: Luft, Zeit, Geld. Kraft. Es gab Lagerkoller, Mutlosigkeit, Streichholzziehen, wen man als nächstes auffressen würde. Die Platte hat mich und die Band an den Rand des Bankrotts gebracht, uns aber im Gegenzug Momente großen Glücks beschert. Noch so ein Album, und ich falle tot um.“ Nach den Aufnahmen verließ Bassist Andreas Krane die Band.

„Ich will die Karten neu mischen //All meine Wege verlassen …// Ich will unbeschriebene Blätter //Ich will verschwiegene Gräber //Dass die Zukunft damit aufhört, die Gegenwart zu spiegeln “ („Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen“) Irgendjemand hat jetzt das neue Album, das nach dem Weggang der Band von Kitty-Yo bei Labels Germany erscheinen wird, in den Ghettoblaster gesteckt und Peter Thiessen sagt:

„Macht doch mal die Musik aus! Sind das Tocotronic? Machen die jetzt Jazz oder was? Aus!“

Alle lachen. Sind überhaupt alle ziemlich gut drauf hier. Ist ja auch recht lustig so eine Filmerei, zumindest, wenn man das Video von Leuten wie denen von der Performance-Theatergruppe Showcase Beat Le Mot drehen lässt. In ein paar Tagen geben Showcase Beat Le Mot zwei eigene Vorstellungen im Festspielhaus Hellerau. Sie werden auf der Basis eines japanischen Comics die Geschichte des Scharfrichters Ogami Itto nachspielen – mit roten Wollfaden als Blut und allerhand Krawall. Die vier charakterstarken Mittdreißigerund die Band Kante sind – tja – Bekannte, denn auch das Video zu „Die Summe der einzelnen Teile ‚ (der Hit vom 2001 erschienenen AlbumzwElUCHT) stammt von diesem Performance-Kollektiv. Damals spielte die Theatergruppe mit der Musikgruppe Blindenfußball – eingewickelt in Mullbinden im Schaufenster einer Galerie in Berlin.

Diesmal ist die Handlung ein bis sehen komplexer: Die vier Herren der Musikgruppe ziehen sich Pullover, Overalls und Helme über, werden von den vier Herren der Theatergruppe mit Farbball-Kanonen beschossen und hernach eingenebelt. Peter, Thomas, Felix und Sebastian stehen also vor einer Wand, aus dem Ghettoblaster tönt zum soundsovielten Mal die Single „Zombi“ – und die Ballerei beginnt. Felix sagt: „Aber nicht treffen! „Showcase-Mann Dariusz ruft jedoch: „Zieltauch auf die Köpfe!“ Bald sind Band, Wand und die hölzernen Modell-Instrumenten ausreichend vollgekleckst. Nun wabert weißer Qualm aus einer Nebelmaschine, und Kante staken durch den Dunst vor der Kamera umher, was ein bisschen irre aussieht. Nach zwei Stunden kann kaum einer mehr atmen, sind die Musiker nassgeschwitzt und die Filmer nervös – man hatte noch mehr Einstellungen gebraucht, doch draußen wird es dunkel, im Fernsehen spielt Deutschland gegen Holland, der Bauch ist leer, Bier vonnöten und so weiterund so fort.

Auf Holzstühlen vor der Bühne im leeren Saal des Festspielhauses sitzend verfolgen sie später das über die Leinwand flimmernde Fußballspiel. Draußen klatscht Regen auf den rissigen Beton. Das weiche Licht der Laternen malt Schatten um die klaren Konturen des alten Gemäuers. Von drinnen tönt Jubel -Tor für Holland, Abpfiff. Peter Thiessen, einstiger Blumfeld-Gitarrist und neben Sebastian Vogel Kante-Gründungsmitglied, steht hinterm Haus am Grill und kaut einen Pilz. Er sagt: „Jetzt haben wir unsere Z-Trilogie vollendet. ZWISCHEN DEN ORTEN, ZWEI-LlCHT und ZOMBi.“ Drei Alben in elf Jahren. Wir schauen nach vorn. Aber: Was ist ein Zombi?

„Ein Zombi ist jemand, der gleichzeitig tot und lebendig ist. Er ist gleichzeitig gegenwärtig und zukünftig.“ So legt Peter Thiessen den Begriff für sich aus. Seine Stimme hallt nach in dem großen Saal, wohin sich die Band zum Reden verzogen hat. Es ist das große Thema das Albums: die Gleichzeitigkeit der Gefühle, das Sich-in-der-Schwebe-Befinden zwischen Resignation und Euphorie, das lähmende Verharren in der Gegenwart einerseits, und der hoffnungsvolle Aufbruch in eine bessere Zukunft andererseits. Dabei gibt der Sänger von Kante in seinen Texten keinerlei Antworten. („Wenn ich etwas erschöpfend erklären wollte, würde ich Artikel oder Bücher schreiben“) Er formuliert Zustände. Und so entsteht ein scharfes Bild unserer Zeit. Peter Thiessen sagt dazu: „Esgeht darum, zu beschreiben, was viele Leute erleben, nämlich ein Gefühl von Krisenhaftigkeit, von Umbrüchen und verunsichernden Veränderungen. Das kann ein Zustand sein, dereinen total lähmt, so dass man einfach nicht mehr weiter weiß.“ Er überlegt lange, bevor er redet, hält oft inne zwischen den Worten. „Aber es geht auch darum zu sagen, dass man diesen Zustand als Chance sehen kann. Gerade weil man nicht mehr weiter weiß, muss man etwas ändern“ im Spannungsfeld zwischen diesen Zuständen entstehen die Zombis unserer Zeit.

Aber spuren die Musiker dieser Band tatsächlich diesen Moment eines Neuanfangs. Oder steckt dahinter ein Wunschgedanke?

PETER thiessen: „Beides. Einem Neubeginngehtja oft ein Wunsch voraus.“ THOMAS leboeg: „Ich habe das Gefühl, dass der Leidensdruck noch stärker werden muss, damit wirklich was Entscheidendes passiert. Und dann ist da schon die nächste Frage: Was soll denn eigentlich passieren?“ peter thiessen: „Der Kapitalismus produziert die permanente Krise, sie ist sein Prinzip, undwir sehen und spüren sie jeden Tag. Diese Situation lässt sich nur auflösen, wenn man den Kapitalismus überwindet ohne hinter ihn zurückzufallen. Da gibt es keinen anderen Weg.

Dann kommt das Gespräch noch auf die vehemente Weigerung der Hamburger, eines ihrer Stücke für einen dieser Deutsch-Pop-Sampler freizugeben. Und hier zeigt sich nicht zuletzt auch wieder das Wesen des Zombis, der letztendlich ein vor Freiheitsentzug halbtoter Mensch ist. „Ichfind’s zum Kotzen, wenn Bands, die stilistisch und textlich nichts miteinander zu tun haben, nur aus dem Grund auf so einem Ding zusammengefasst werden, weil sie Deutsch singen. Das Interessante an Popmusik sind doch aber gerade die Mischungen, die Bezüge quer durch die Sprachen und Zeiten. Ichfind’s total blöde, das auf eine Nationalsprachigkeit zu reduzieren “ sagt Peter Thiessen und nippt am Bier.

Es fällt dann noch das Wort „Nationalstaat“ und der Sänger stellt fest: „Für mich ist Nationalstaatlichkeit an sich einezu hinterfragende Sache.“ Hinterfragen, Spekulieren, Abwägen – wirkliche Antworten wird man kaum finden. Am Ende ist das Wichtigste simpel. Peter Thiessen sagt: „£s ist vom einfachen Menschenverstand her nicht nachzu vollziehen, dass es Grenzen gibt. Das ist nicht zu begründen. Das ist Willkür und Gewalt. Jeder soll leben können, wo er will. „Es ist still geworden im Saal des Festspielhauses Dresden-Hellerau. Dann schlägt eine Tür im Wind. Es ist alles gesagt. Und nun, Zombi?