Danger Dan im Interview: „Ich vermisse im HipHop die materielle Kritik“
Wir sprachen mit Danger Dan im Interview über den Entstehungsprozess seines „unerwarteten“ Klavieralbums DAS IST ALLES VON DER KUNSTFREIHEIT GEDECKT, die Weisheiten von Lou Reed, seinen Ausbruch aus einem bürgerlichen Leben und darüber, welche Statements in der Musik heute noch rebellisch sein können.
Auf seinem neuen Solo-Album tauscht Antilopen Gang-Mitglied Danger Dan HipHop-Beats gegen Klavierflügel aus. Und obwohl DAS IST ALLES VON DER KUNSTFREIHEIT GEDECKT den Beititel „Das unerwartete Klavieralbum“ trägt, dürften spätestens seit der Veröffentlichung des Titel-Songs und dem dazugehörigen Musikvideo einige Leute gespannt auf die Platte gewartet haben. Letzteres entwickelte sich nämlich nicht nur zu einem viralen Hit, der dem Rapper unter anderem einen Auftritt bei Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ bescherte, sondern machte deutlich, dass man sich auch innerhalb des Mainstreams klar politisch positionieren kann und sollte.
Dies tut Danger Dan auch auf anderen Songs seines Albums, während er gleichzeitig sehr persönliche Einblicke in sein Leben gewährt und sich sogar an das Thema Liebe herantastet. Wir sprachen mit Danger Dan über den Entstehungsprozess des Albums, seine Verbindung zu Lou Reed, die Angst vor einem bürgerlichen Leben und darüber, welche musikalischen Statements heute noch rebellisch sind.
Musikexpress.de: Auf Deiner COMING OUT-EP aus dem Jahr 2008 hast Du folgende Zeilen gerappt: „HipHop stinkt. HipHop unterfordert mich. Und wenn’s kein Klavier mehr gibt auf dieser Welt, bitte ermordet mich.“ War Dir damals schon klar, dass irgendwann ein Klavieralbum kommen wird?
Danger Dan: Darth Vader würde sagen: „Jetzt schließt sich der Kreis.“
Warum dann aber der Beititel „Das unerwartete Klavieralbum“?
Wenn man nur sagt „das Klavieralbum“, dann klingt das nicht gut. Panik Panzer kam auf die Idee mit dem „unerwarteten Klavieralbum“. Das hat eine geniale Doppeldeutigkeit. Erstens: Es wartet keiner drauf. Zweitens: Es ist überraschend. Das ist total unromantisch, sondern einfach nur Marketing-Sprache aus dem Hause „Antilopen Geldwäsche“.
Wie reagierten Deine Band-Kollegen auf Dein Solo-Projekt? Hielten die es sofort für eine gute Idee?
Die spüren natürlich, dass ich das machen muss und lassen mich gewähren. Als Band hält uns das aber monatelang auf. Ich habe es ihnen dann als Experiment verkauft, um mal zu erfahren, wie es ist, Alben ohne fremde Hilfe zu produzieren. Da fielen dann Begriffe wie „Capacity-Building“. Vor allem Panik Panzer wurde da hellhörig. Von dort an gab es keine Gegenargumente mehr. Aber gefreut hat sich erst mal keiner. Mittlerweile haben wir aber innerhalb der Antilopen Gang sehr viel „Ownership“ entwickelt. Noch so ein Marketing-Begriff.
Danger Dans Band-Kollegen Kojljah und Panik Panzer bezeichnen ihn mittlerweile als den „Jan Delay“ der Antilopen Gang und sich selbst als Denyo und DJ Mad:
Gab Dir die Arbeit an dem Album Freiheiten, die Du bei der Antilopen Gang nicht hast?
Es gibt Dinge, die darf ich nur in meinem eigenen Kosmos tun. Zum Beispiel ellenlange, emotionale Facebook-Beiträge und Pamphlete á la Feine Sahne Fischfilet schreiben oder Videos mit Waffen drehen. Aber meine Bandmitglieder wussten auch, dass ich das machen muss. Es führte kein Weg dran vorbei.
„Auch kitschige Phrasen können innerhalb eines guten Songs funktionieren und schön sein.“
Die Antilopen Gang war vergangenes Jahr sehr aktiv. Anfang 2020 erschien ABBRUCH ABBRUCH und gegen Ende des Jahres habt ihr ADRENOCHROME veröffentlicht. Wann sind Deine Songs entstanden?
Alle Songs entstanden im letzten Jahr, bis auf „Topf und Deckel“. Der ist bereits zehn Jahre alt. Wir haben damals in autonomen Clubs und Jugendzentren gespielt, wo manchmal nur zehn bis 15 Leuten kamen. Da hatte ich aber schon mein Klavier dabei und wollte auch damit auftreten. So kam es, dass ich dieses Liebeslied geschrieben habe, das ich dann zehn Jahre lang live gespielt habe. Das nochmal aufzunehmen, hat sich erst mal falsch angefühlt, weil es schon so alt ist und ich mich weiterentwickelt habe. Als ich das Lied dann gehört habe, war ich mir bezüglich meiner Weiterentwicklung nicht mehr so sicher (lacht). Der Text ist auch noch derselbe, bis auf die dritte Strophe, wo es um einen Heiratsschwindler ging, der eine todkranke Industriellen-Kauffrau heiraten will. Die war einfach nicht so gut.
In diesem Song singst Du von einer Straftäterin, die ihre Aggressionen in Halbzeiten von Fußballspielen rauslässt und von einem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt, der sich gerne mobben lässt. Ist „Topf und Deckel“ wirklich ein Liebeslied? Falls ja, kommt es sehr unromantisch daher.
Ich bin selbst ein komischer Vogel, der sich immer mal wieder verliebt hat. Deshalb weiß ich, dass es da draußen noch mehr komische Vögel gibt, die nach Liebe suchen. Da steckt natürlich ein wenig Zynismus und schwarzer Humor drin, wenn ich erzähle, dass White-Saviour-Krankenschwestern von einem zerbombten Land träumen, wo sie Menschen retten können. Das hat was von Georg Kreisler. Trotzdem ist es nach wie vor ein Liebeslied. Ich versuche lediglich ein paar kitschige Phrasen zu vermeiden. Wobei kitschige Phrasen auch innerhalb eines guten Songs funktionieren und schön sein können.
In „Eine gute Nachricht“ singt Danger Dan von Liebe und der Vergänglichkeit des Lebens:
„Mir ging es einfach besser, als ich aufgehört habe, das Leben zu leben, das alle von mir erwarten.“
In dem Song „Lauf davon“ erzählst Du, dass Lou Reed Dich dazu motiviert hat, vor einem normalen, bürgerlichen Leben davon zu laufen. Haben Dich Lou Reed und Velvet Underground auch geprägt und inspiriert?
Mein wichtigstes Lou-Reed-Erlebnis war ein Konzert in Bordeaux im Jahr 2012. In der selben Zeit gab es auch eines der letzten The-Doors-Konzerte in Clermont-Ferrand mit Ray Manzarek an der Orgel. Das waren natürlich alles Helden. Trotzdem habe ich eigentlich mehr Rap gehört. Lou Reed fand ich als Figur spannender als die eigentliche Musik. Das war ein queerer, verrückter und unglaublich kreativer Typ, der ein Leben gelebt hat, das weit weg war von einem normalen, bürgerlichen Leben. Leider war das Konzert ziemlich enttäuschend, weil der Typ schon ziemlich kaputt war. Eigentlich hätte man sich das nicht anschauen dürfen. Der ist ja auch leider kurz danach gestorben.
Der Ausbruch aus einem normalen und bürgerlichen Leben begleitet Dich schon länger als Thema, oder?
Ich habe mit 18 Jahren eine Panikstörung entwickelt. Die Ärzte meinten, das käme vom vielen Kiffen. Das hat alles aufgehört, als ich meine Ausbildung abgebrochen habe und mit ein paar Punks in ein besetztes Haus gezogen bin. Mit denen bin ich dann spontan nach Belgien ans Meer getrampt. Mir ging es einfach besser, als ich aufgehört habe, das Leben zu leben, das alle von mir erwarten. Ich dachte auch, dass ich mit 30 ein Haus abbezahlen und ein Studium beendet haben muss. Ich dachte, wenn man das nicht tut, passiert etwas ganz Schlimmes. Dieser Lebensentwurf hat mir furchtbare Angst gemacht. Man muss das Glück herausfordern. Wenn man das tut, kann man aber auch sehr viel Pech haben.
„Ich vermisse im HipHop immer noch die materielle Kritik“
Wir müssen auch über Deinen Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ sprechen. Der Song hat die Charts gestürmt und ist politisch äußerst relevant. Trotzdem bist Du mit ihm ein gewisses Risiko eingegangen, oder?
Wir haben schon diskutiert, wie hoch das Risiko ist, das wir da eingehen. Wir hatten ja durchaus unsere juristischen Probleme. Da lernt man natürlich draus. Also ehrlich gesagt: Man kommt nicht mit allem durch (lacht).
Gegen Ken Jebsen habt Ihr 2015 vor Gericht gewonnen. Auch da hat Euch die Kunstfreiheit gerettet. Kann es sein, dass die Kunstfreiheit die größte Waffe und zugleich der größte Schutz der Antilopen Gang ist?
Wir haben uns eigentlich nie krass beschneiden müssen. Ich habe mich eher gewundert. Wir waren in den Charts auf Platz 1 mit einem Album namens ATOMBOMBE AUF DEUTSCHLAND. In unserer Welt ist das mittlerweile schon in Ordnung. Lou Reed war viel mutiger, als er von Heroin sang, weil er noch in einer viel konservativeren Welt lebte. Wenn wir heute „Atombombe auf Deutschland“ singen, kommt hinterher die SPD und findet das geil. Das ist eigentlich keine Rebellion mehr. Man könnte meinen, wir haben Narrenfreiheit.
Wenn Ihr so einfach damit durchkommt, was bedeutet es dann eigentlich noch, Punk zu sein und gegen das Establishment anzukämpfen? Mit welchen Statements kann man heutzutage noch schocken?
Gute Frage. Als wir damals „Beate Zschäpe hört U2“ geschrieben haben, war das ein Statement. Auch mein Kuss mit Monchi von Feine Sahne Fischfilet im Video zu „Verliebt“ war noch ein Statement. Mittlerweile hat sich der Status Quo etwas verändert. Es gehört ja schon zum guten Ton, wenn Rapper Lieder gegen Faschos, gegen einen Rechtsruck in der Gesellschaft oder gegen Homophobie machen. Mittlerweile gibt es auch eine „Pride Week“-Kollektion von Nike. „Diversity“ ist in der Welt der Agenturen angekommen. Sogar die Junge Union kommt jetzt mit ähnlichen Statements an. So richtig als Punk fühlt man sich mit solchen Positionen nicht mehr.
„Vielleicht mach ich auch mal ein Reggae-Album oder Volksmusik. Vielleicht schreibe ich auch mal eine Oper.“
Sind das nicht auch positive Entwicklungen?
Ich vermisse da immer noch die materielle Kritik. Auch im HipHop. Ich frage mich manchmal, ob es jetzt darum geht, dass alle unabhängig von Hautfarbe und sexueller Orientierung gleichmäßig ausgebeutet werden. Der radikalere Anspruch wäre es, die Ausbeutung an sich abzuschaffen und das kapitalistische System zu überwinden. Das wäre jetzt vermutlich der nächste Ansatz der Antilopen Gang. Hoffentlich werden wir nicht schon wieder vereinnahmt von denen, die wir eigentlich stürzen wollen! (lacht)
„Das Viktoria-Gymnasium in Aachen ist nur ein Repressionsapparat von vielen.“
Mit Deinem Klavieralbum rebellierst Du als Rapper zumindest gegen den musikalischen Mainstream…
Mit meinem Klavieralbum, das in den 70er-Jahren genauso geklungen hätte, fühle ich mich einfach wohler, als mit Autotune-Modus-Mio-Musik. Als Antilopen Gang können wir das teilweise bedienen. Obwohl unsere Musik noch nie am Puls der Zeit war (lacht). Vielleicht mach ich auch mal ein Reggae-Album oder Volksmusik. Vielleicht schreibe ich auch mal eine Oper. Bis jetzt hat sich der Mainstream immer ganz gut an uns angepasst.
„Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ kann man auch auf der Gitarre spielen:
Hast Du eigentlich eine offene Rechnung mit dem Viktoria-Gymnasium in Aachen? In Deinem Song „Ingloria Victoria“ kommt das nicht gerade gut weg.
Ich habe keinen Kontakt und werde auch nicht zu Klassentreffen eingeladen. Im Grunde war ich auch nur wenige Monate da, bevor ich rausgeflogen bin. Ein Kumpel hat mich dann darauf aufmerksam gemacht, dass auf der Wikipedia-Seite der Schule mein Name steht. Quasi als Referenz. Das konnte ich nicht unkommentiert stehen lassen. Da sind mindestens 20 Jahre alte Rachegefühle in mir hoch gekommen. Letztendlich ist das Viktoria-Gymnasium in Aachen aber auch nur ein Repressionsapparat von vielen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass auch alle anderen Schülerinnen und Schüler mit dem Lied etwas anfangen können. Mich würde es natürlich freuen, wenn „Ingloria Victoria“ das nächste Abi-Lied des Viktoria-Gymnasiums wird. Da habe ich schon ein bisschen gehässige Schadenfreude.
Würdest Du Dir wünschen, dass Deine Texte in Zukunft im Unterricht behandelt werden?
Das passiert teilweise schon. In den YouTube-Kommentaren lese ich manchmal: „Ich bin nur hier, weil mein Lehrer mir das aufgedrückt hat“. Manche Schüler schreiben mir auch: „Wir machen das gerade in der Schule. Ich verstehe aber gar nichts.“ Die verweise ich dann manchmal auf Internet-Seiten, die das ganz gut analysiert haben. Bei „Beate Zschäpe hört U2“ war das öfters der Fall.
In „Das schreckliche Buch“ beschäftigst Du Dich mit skurrilen Persönlichkeiten aus der „Querdenker“-Bewegung. Auf dem Song „Papa ist zurück“ von Gossenboss mit Zett, auf dem Du auch vertreten bist, rappst Du, dass Du Impfgegner-Eltern vom Spielplatz vertreiben musst. Gehören solche Taten gerade zu Deinem Alltag?
Das sind eher Ängste. Das Problem als Elternteil ist, dass man sich mit anderen Eltern auseinandersetzen muss. Und viele Menschen bekommen Kinder. Deswegen hängt man dann oft mit Leuten rum, mit denen man sonst nicht rumhängen würde. Ich hatte oft Angst, dass da sehr viele Idioten dabei sind. Aber erschreckenderweise komme ich mit den meisten ganz gut klar (lacht). Diejenigen, mit denen ich zu tun habe, haben zumindest gut einen an der Waffel. Im positiven Sinne.
Danger Dans Klavieralbum DAS IST ALLES VON DER KUNSTFREIHEIT GEDECKT kannst Du hier im Stream hören: