Lou Reed – Düsseldorf, Philipshalle
Jahrelang hat der New Yorker Gitarrist & Poet einen weiten Bogen um das Land der grünen Uniformen und weißen Mützen gemacht, weil ihn einst bundesdeutsche Polizei verhaftet hatte: die Gründe für diese Aktion inmitten einer Reed-Tournee lagen bei den Drogen und bei bundesrepublikanischer Beamtensorgfalt.
Soviel zur Vergangenheit. Reeds heutige Droge ist die Gitarre: Er liebt sein Instrument, er liebt den (traditionellen) Rock ’n‘ Roll, er liebt seine Frau und seine eigene Vergangenheit! Beim einzigen Auftritt in der Bundesrepublik. Ende letzten Jahres in der mit einem typischen/traditionsbewußten Rockpublikum (biertrunken, fusseliger Bartwuchs im Gesicht, wattierte Abenteuerjakken) belegten Philipshalle, präsentiert sich Reed als ein Mann mit Charme und eigener Geschichte: Seine Kompositionen aus den Tagen mit Nico, John Cale und Velvet Underground („I’m Waiting For My Man“, „There She Goes Again“) leitet er mit persönlichen Erinnerungen ein, die er wie ein I2jähriges Mädchen vorträgt, das aus seinem Poesiealbum zitiert.
Mit diesem häuslichen Bühnenverhalten enttäuscht der mit Mythos & Kult behaftete Reed wohl all jene im Publikum, die heute selbst mit Ehefrau und Siedlungshäuschen leben und die eigenen, peitschenden Jugenderlebnisse immer wieder von irgendeiner Bühne ablutschen wollen.
Für sie gab Lou Reed 1984 keine neuen Sensationen ab – Lou Reed heute, das ist ein ganz normaler Rocker, der ein ganz normales Rock ’n‘ Roll-Konzert spielt, mit Robert Quine (Gitarre), Fernando Saunders (Baß), Peter Wood (Keyboards) und Lenny Ferrari (Schlagzeug).
Volkstümlich (mit Wood am Akkordeon) interpretieren sie das im Original bombastische „Doing The Things That We Want To“ vom großartigen 84er Album NEW SEN-SATIONS. Bei der Reed-Hymne „Walk On The Wild Side“ (von TRANSFORMER) erscheint Lou in der Rolle des liebenswerten Troubadors: die obligatorische Zigarette zwischen den Fingern, ein lockeres Schnipsen auf den Fingerkuppen und die Gitarre als Rucksack entfremdet, unternimmt er einen Spaziergang durch die milden Seiten seines Lebens.
Der Schatten der Vergangenheit taucht schließlich noch einmal am Ende dieser unterhaltsamen Aufführung in Form von gleißend weißen Lichtspielereien auf: „White Light/White Heat“ durchläuft Reed mit seiner Band extrem schnell – so, als wolle er diese frühe Phase seines Schaffens dem Publikum heute nur als eine Art Alibi vorwerfen nach dem Motto: Schaut her! Auch ich stehe zu dem. was einmal war! Was soll’s!